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Wer Freelancer wird, tauscht Sicherheit gegen Unabhängigkeit. Da kann es sinnvoll sein, sich erst einmal nebenbei selbständig zu machen. Das verringert das finanzielle Risiko, vergrößert allerdings die Belastung. Wie es gelingen kann, zeigt diese persönliche Erfolgsgeschichte von Katrin Hoerner.
Die Idee, mich selbständig zu machen, schwirrte jahrelang durch meinen Kopf. Zwar liebte ich meinen Job als Ressortleiterin eines großen Nachrichtenmagazins. Doch veränderten sich meine Aufgaben stetig in eine Richtung, die mir immer weniger gefiel. Ich wurde zu einer Managerin meiner Ressorts, das journalistische Arbeiten, der Einfluss auf die Inhalte, kam für mich zu kurz. Zudem war ich als Führungskraft in einer Sandwichposition. Ich leitete ein größeres Team, trug viel Verantwortung, hatte aber sehr wenig Gestaltungsfreiheit. Ich musste die Ziele der Geschäftsführung umsetzen, die ich teils fraglich fand, und die ich trotzdem meinem Team gegenüber vertreten und durchsetzen sollte.
Mit der passenden Geschäftsidee Freelancer werden
Die Geschäftsidee kam auf dem Weg zu einem Malkurs, den ich an einer privaten Kunstakademie gebucht hatte. Warum sollte ich nicht selbst eine Kunstschule für Erwachsene gründen? Ich hatte schon mehrere Mal- und Bildhauerkurse an verschiedenen Einrichtungen in Bayern besucht, kannte das Umfeld, die Kunden, die Anforderungen an die Dozenten und die Räumlichkeiten. Die Idee elektrisierte mich, fühlte sich sofort richtig und stimmig an. Sie passte zu mir, weil ich Kunstgeschichte studiert habe, weil Kunst mich begeistert, ich über ein kleines Netzwerk von Künstlern und Dozenten verfügte, und nicht zuletzt, weil ich als Ressortleiterin jahrelange Leitungserfahrung hatte und gut organisieren kann.
Zudem lebte ich seit ein paar Jahren bei Bad Tölz in der kleinen Gemeinde Bad Heilbrunn, in deren Zentrum mitten in einem Park eine imposante Villa steht. In den großzügigen Räumen dort fanden ab und zu Seminare statt, meistens standen sie aber leer. Mit einem Konzept, das meine Geschäftsidee kurz umriss, stattete ich dem Bürgermeister einen Besuch ab. Er war schnell zu überzeugen und vermietete 2011 per Handschlag die Seminarräume einen Sommer lang an die frisch gegründete Kunstakademie EigenArt.
Nebenbei selbständig: Freelancer werden mit Sicherheitsnetz
Ich war zwar sicher, dass ich mein Unternehmen zum Erfolg führen würde, trotzdem war mich nicht wohl bei dem Gedanken, meine gutbezahlte Festanstellung aufzugeben für eine Idee, die sich in der Praxis doch als Flop zeigen könnte. Ich hatte viel zu verlieren. Deshalb entschloss ich, mich nebenbei selbständig zu machen. Tatsächlich nutzt die Mehrzahl der Existenzgründer diese Möglichkeit: Beispielsweise gründeten im Jahr 2021 von den 607.000 neuen Firmenchefs 236.000 im Vollerwerb und 371.000 im Nebenerwerb.
Für die Startfinanzierung nutzte ich Ersparnisse. Ich ließ mir von meinem Arbeitgeber die Nebentätigkeit genehmigen und nahm für die erste Sommerakademie ein einmonatiges Sabbatical plus zwei Wochen Urlaub.
Motivation kompensiert Mehrarbeit
Ich definierte meine Zielgruppe, analysierte die Konkurrenz, engagierte Dozenten, die ich selbst kannte oder die mir empfohlen wurden, stellte ein Kursprogramm zusammen, ließ eine Website bauen und einen Flyer gestalten. Ich arbeitete fast jeden Abend und an den Wochenenden für mein Unternehmen – neben meinem 50-Stunden-Job als Ressortleiterin. Natürlich blieb mein Sozialleben auf der Strecke, manche Freunde sah ich monatelang nicht. Doch begeisterte mich meine Aufgabe und die Vorstellung, mein Unternehmen ganz nach meinen Vorstellungen gestalten zu können, ließ mich durchhalten.
Netzwerken und vorhandene Netzwerke nutzen
Das Programm dauerte sechs Wochen im Juli/August 2011 und bestand aus zwölf Kursen von je vier bis fünf Tage Länge. Leider wurde diese erste Sommerakademie wirtschaftlich kein Erfolg. Ich hatte zwar viel Zeit und Energie in das Kursprogramm gesteckt und den perfekten Rahmen für die Kurse geschaffen, doch hatte ich Marketing, Vertrieb und Netzwerken schleifen lassen. Mittlerweile weiß ich: Die Vernachlässigung der Vermarktung ist neben einem Produkt, das keiner braucht, und einer unzureichenden Finanzierung typischerweise der Kardinalfehler, wenn Geschäftsideen scheitern.
Zwar berichteten der Lokalteil einer großen Tageszeitung und ein paar Regionalmedien über die Eröffnung, doch das genügte nicht für die Kundenakquise. Glücklicherweise hatten meine Dozenten bereits ein gutes Netzwerk und brachten einige Teilnehmer mit. So fand etwa die Hälfte der Kurse mit mäßiger Auslastung statt. Alle Teilnehmer und die Dozenten waren vom Ambiente der Villa, der Landschaft und meiner Organisation begeistert, was mich sehr motivierte. Nicht zuletzt brachte mir die Sommerakademie große Freude. Mein Fazit nach diesem ersten Sommer: Die Idee und das Produkt sind gut, die Umsetzung passt auch, aber an der Vermarktung und dem Netzwerken musste ich kräftig arbeiten.
Professionalisierung im Prozess
2012 weitete ich mein Kursprogramm auf zwölf Wochen aus, achtete bei der Akquise weiterer Dozenten darauf, dass sie schon einen Kundenstamm mitbrachten und ließ die Kursbroschüre bayernweit professionell verteilen. Allein dadurch verzehnfachte ich die Teilnehmerzahl.
Ich schulte mein unternehmerisches Handeln, lernte, betriebswirtschaftliche Kennzahlen auszuwerten und jede Aktion auf ihre finanzielle Auswirkung zu beurteilen.
Netzwerken über Partnerschaften
Einen richtigen Schub bekam die Kunstakademie EigenArt durch eine Kooperation mit einem deutschlandweit und im Internet agierenden Künstlerbedarf, die ich einfädeln konnte. Das Unternehmen ermöglichte mir, meine Kursbroschüre in allen seinen Filialen auszulegen und damit sein Netzwerk zu nutzen. Die Idee war, dass Kunden meiner Akademie auch deren Kunden sind. Wer also an der EigenArt einen Kunstkurs besucht, der braucht dafür Farben und Leinwände, die er wiederum dort kauft. Eine Win-Win-Situation.
Freelancer mit verteiltem Risiko
Nach fünf Jahren hatte ich alle unternehmerischen Herausforderungen im Griff. Meine Firma war seriös aufgestellt und in der Gewinnzone. Mindestens genauso wichtig wie der wirtschaftliche Erfolg war aber, dass ich meinen Berufsalltag nach meinen Wünschen gestalten konnte und für ein Unternehmen arbeitete, mit dem ich mich zu 100 Prozent identifizierte. 2016 kündigte ich meine Ressortleiterstelle. Allerdings setzte ich wieder nicht alles auf eine Karte, stattdessen entschloss ich mich, neben der Akademie weiterhin als freie Journalistin zu arbeiten. Diesen Schritt hatte ich noch während meiner Festanstellung vorbereitet und mein Netzwerk aus früheren Kollegen und potenziellen Auftraggebern frühzeitig persönlich informiert. Natürlich hatte ich mittlerweile eine eigene Website mit meinem Angebot, nutzte Branchendienste wie Xing, LinkedIn, postete regelmäßig auf Facebook und meldete mich auf einer Freelancer-Plattform an. Die Fehler meiner letzten Selbständigkeit, mich nicht genug um das professionelle Netzwerken und das Marketing gekümmert zu haben, wollte ich nicht wiederholen. Professionelles Netzwerken musste ich erst lernen?
Mein Ziel war es, zwei Drittel meines Einkommens über die Kunstakademie zu erzielen, den Rest durch den Journalismus. Das Konzept ging auf. Heute ist mein früherer Hauptberuf zum zweiten Standbein geworden, das mir die finanzielle Freiheit gibt, mit der Akademie risikofreudig immer wieder Neues zu probieren. Während der Coronapandemie, als ich den Akademiebetrieb monatelang einstellen musste, war ich zudem froh, noch als Journalistin arbeiten zu können und mich nicht um meine Existenz sorgen zu müssen.
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Freelancer werden: nebenbei selbständig – die Vorteile
Für mich war es der richtige Weg, mich erst einmal nebenbei selbständig zu machen.
- Das Einkommen aus meiner Festanstellung brachte mir Sicherheit und nahm den Erfolgsdruck. In die Ungewissheit hinein zu gründen, hätte ich mich nicht getraut. So hatte ich genug Zeit, meine Geschäftsidee zu testen, mutig Neues zu probieren und meine Fähigkeiten als Unternehmerin zu entwickeln. Das Gleiche gilt für meine zweite Selbständigkeit.
- Durch die Erfahrungen mit der Akademie habe ich gelernt, wie wichtig professionelles Netzwerken und Marketing als Erfolgsfaktoren sind.
- Als Journalistin mit zweitem Standbein, genieße ich den Luxus, mich mit Themen beschäftigen zu können, die mich interessieren. Ich kann unattraktive Aufträge ablehnen und steuern, wie viel ich arbeiten möchte.
Freelancer werden: nebenbei selbständig – die Nachteile
- Sich nebenbei selbständig zu machen, braucht ein hohes Maß an Enthusiasmus für die Idee und die Bereitschaft, Freizeit und Sozialleben zu vernachlässigen.
- Hinzu kommt, dass natürlich weniger Zeit da ist für die Solo-Selbständigkeit oder den Unternehmensaufbau als das im Fall einer hauptberuflichen Gründung der Fall wäre. Die Entwicklung dauert entsprechend länger.
- Am Anfang fühlte ich mich zudem zerrissen zwischen meinen Verpflichtungen als Ressortleiterin und meinen Aufgaben als Akademieleiterin. Diese Zerrissenheit spüre ich teils auch heute zwischen meinen beiden Selbständigkeiten: Habe ich journalistische Aufträge, sorge ich mich, die Akademie zu vernachlässigen und umgekehrt.
Beratungsangebote für Freelancer und Gründer nutzen
Zurückblickend würde ich in Bezug auf die Akademiegründung folgendes anders machen.
- Ich würde mir schon im Vorfeld Hilfe bei betriebswirtschaftlichen Themen holen. Es gibt Gründungsberatung von verschiedenen Anbietern, beispielsweise der IHK, und auch finanzielle Unterstützung, wenn nötig.
- Auch für die Zeit nach der Gründung würde ich existierende Beratungsangebote wahrnehmen, beispielsweise das Programm „Förderung von Unternehmensberatungen für KMU“, das das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und die Europäischen Sozialfonds für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) anbieten.
- Ich würde viel mehr Zeit in das Netzwerken in sozialen Medien und auf Freelancer-Plattformen investieren, beispielsweise einen Blog mit Kreativtipps starten, um meine Kunden direkt zu erreichen.
Für Sie zusammengefasst:
- Reduzieren Sie finanziellen Druck. Die Strategie, nebenbei selbständig zu werden, nimmt finanziellen Druck von Ihnen, wenn Sie Freelancer werden möchten.
- Nehmen Sie smarte Tipps von Profis an. Professionelles Netzwerken und professionelle Vermarktung sind essenziell für Ihren finanziellen Erfolg.
- Üben Sie sich in Geduld. Da Sie weniger Zeit in die Selbständigkeit nebenbei investieren, brauchen Sie eventuell länger bis zum finanziellen Erfolg.
- Nehmen Sie Beratung an. Ob Sie sich nebenbei selbständig machen oder hauptberuflich: Beratungsangebote helfen, sich schneller zu professionalisieren.
Jetzt sind Sie dran: Wie ist es Ihnen gelungen, ein Netzwerk aus Kunden für Ihr Angebot aufzubauen?