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In Deutschland hat sich die Zahl der Freelancer in den vergangenen 30 Jahren fast verdreifacht. Immer mehr Menschen schätzen die Vorzüge der Selbstständigkeit. Doch was viele wiederum unterschätzen, ist das Kalkulieren der Stundensätze. Denn diese Kalkulation hat entscheidenden Einfluss auf die aktuelle Lebenssituation und Ihre Zukunft als Selbstständiger. Wir zeigen Ihnen, worauf es bei der Berechnung von Stundensätzen als Freelancer ankommt.
Das Dilemma mit dem richtigen Stundensatz
Als Selbstständiger oder Selbstständige zu arbeiten, verspricht zunächst einmal Freiheit. Sich selbst aussuchen können, wann, für wen und wo man arbeitet. Dazu gehört außerdem die Freiheit, den eigenen Wert in einen Stundensatz zu fassen. Doch genau hier beginnt das Dilemma. Wo setze ich an? Wie hoch darf der Stundensatz sein, damit ich noch Aufträge erhalte? Ab welchem Stundensatz arbeite ich unrentabel? Die Überlegungen sind ähnlich wie bei der Frage nach einer fairen Bezahlung für Freelancer. Doch bei der Kalkulation des Stundensatzes geht es weniger um eine Selbsteinschätzung als um handfestes Rechnen.
Grundsätzlich gilt: Nehmen Sie die Berechnung Ihres Stundensatzes wirklich ernst. Denn es geht dabei letztlich um Ihr Auskommen, Ihre Rechnungen und, auch wenn es noch weit weg sein mag, um Ihre Altersvorsorge.
Nicht zu niedrig einsteigen, aber dennoch realistisch bleiben
Gerade Newbies als Freelancer neigen dazu, aus mangelndem Selbstbewusstsein oder aus Freude über jeden neuen Auftrag bei den Stundensätzen zu niedrig einzusteigen. Das mag am Anfang noch gut gehen, wenn die Quantität der Aufträge die niedrigeren Stundensätze wettmacht. Doch tatsächlich sollten Sie bedenken, dass es bei möglichen Stammkunden später schwerer wird, Stundensätze “nach oben” nachzuverhandeln. Im schlimmsten Fall arbeiten Sie ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr kostendeckend. Das kann sich wiederum auf die Motivation auswirken und die Qualität Ihrer Arbeit verschlechtern. Ein Teufelskreis beginnt.
Also: Es ist wichtig, dass Sie einen realistischen Preis für Ihre Arbeit als Freelancer ansetzen. Und dafür gilt es ein wenig zu rechnen und einige Aspekte im Auge zu behalten.
Die wichtigste Regel für die Kalkulation des Stundensatzes als Freelancer: Ihre Ausgaben müssen kleiner als die Einnahmen sein
Es mag auf den ersten Blick banal sein, doch um Ihren Stundensatz realistisch zu berechnen, ist es wichtig für Sie, als Selbstständige:r, zunächst Ihre Ausgaben zu kennen.
Stellen Sie also eine Liste mit allen monatlichen Ausgaben bzw. Fixkosten auf, die Sie haben. Hierzu zählen Kosten für den Lebensunterhalt ebenso wie die Kosten für die Miete, Ihre Freizeit und Altersrücklagen.
Wichtig: Seien Sie beim Berechnen Ihrer laufenden Kosten lieber etwas großzügiger und lassen Sie auch keine noch so kleinen Positionen weg. Auf Dauer summieren sich auch Kleinbeträge von 10 oder 15 Euro pro Monat.
Was außerdem wichtig ist: Orientieren Sie sich bei Ihrer Preisgestaltung nicht an anderen Freelancer:innen oder gar an Angestellten. Sie allein sind der Maßstab für eine angemessene Vergütung.
Nach dem Berechnen der Fixkosten muss am Ende jedes Monats auch ein Gewinn stehen. Denn von diesem werden z. B. Auftragsflauten, Krankheitsausfälle oder andere unvorhergesehene Umsatzeinbrüche bzw. Ausgaben gedeckt.
Wenn Sie Ihren Gewinn und die Fixkosten kennen, lässt sich daraus ein Jahreseinkommen berechnen.
Arbeitszeit ist nicht nur Nettozeit
Wenn Sie Ihren Stundensatz berechnen, berücksichtigen Sie nicht nur die Zeit, die Sie „netto” mit einem Projekt beschäftigt sind, sondern berechnen Sie auch auch „Brutto”-Zeit mit ein.
Ein Beispiel:
Sie sind in der Kreativbranche tätig und entwickeln Software. Das eigentliche Programmieren kann zügig gehen. Doch die Überlegungen im Vorfeld sind ebenso wie Meetings mit den Auftraggebern Teil Ihrer Arbeitszeit. Diese sollte dann auch in Ihre Kalkulation einbezogen werden. Abgerechnet werden am Ende meist die Netto-Stunden. Beim Kalkulieren Ihrer Freelancer-Stundensätze sollten Sie jedoch die Brutto-Zeit berücksichtigen.
Überlegen Sie im nächsten Schritt, wie viele „Netto”-Stunden Sie pro Woche arbeiten werden. Rechnen Sie diese Zahl dann auf ein Jahr hoch.
Planen Sie auch Urlaubstage ein
Auch wenn Ihre Arbeit als Freelancer nicht direkt, mit der eines Angestellten vergleichbar ist, sollten Sie dennoch Urlaubstage in Ihrer Stundensatzkalkulation einbeziehen. Diese ziehen Sie dann von der benötigten Jahresarbeitszeit ab.
Ein Rechenbeispiel für die Kalkulation eines Stundensatzes:
Ausgaben fix pro Monat
Miete | 1.200 EUR |
Versicherungen | 500 EUR |
Freizeit (Fitness-Studie, Kino, Ausgehen etc.) | 300 EUR |
Lebensmittel | 300 EUR |
Mobilität | 200 EUR |
Telekommunikation | 100 EUR |
Altersvorsorge | 250 EUR |
Einkommensteuer/Gewerbesteuer (Rücklage/Vorauszahlungen) | 700 EUR |
Summe: 3.550 EUR
Erstrebter Gewinn: 1.000 EUR
Sie müssten also mindestens 4.550 EUR pro Monat verdienen. Der Jahresverdienst läge dann bei 54.600 EUR.
Wenn Sie nun von 5 Netto-Stunden pro Tag bei einer Fünf-Tage-Woche ausgehen, wären das 100 Stunden pro Monat und 1.200 Stunden pro Jahr. Davon abgezogen werden drei Urlaubswochen, also 75 Stunden. Das ergibt eine Jahresarbeitszeit netto von 1.125 Stunden.
Nun teilen Sie den Jahresverdienst durch diese Anzahl an Stunden:
54.600 EUR : 1.125 h = 48,53 EUR/h. Das wäre der Stundensatz, den Sie ansetzen müssten, um Ihre Lebenshaltungskosten zu decken und den angestrebten Gewinn zu erzielen.
Tatsächlich ist das nur ein Näherungswert. Sie müssten nämlich noch die Feiertage und mögliche Krankheitstage abziehen, an welchen Sie nichts verdienen.
Wenn Sie also noch durchschnittlich 10 Krankheitstage und 10 Feiertage abziehen, reduziert sich die jährliche Arbeitszeit nochmals um 100 Stunden.
Die neue Rechnung würde dann so aussehen:
54.600 EUR : 1.025 h = 53,27 /h. Und schon wäre der Stundensatz nochmals um fast 5 EUR höher.
Vergessen Sie nicht die Zeit, die Sie für Akquise und Verwaltung sowie Marketing benötigen
Was wir noch vergessen haben, ist die Zeit, die Sie für die Neukundengewinnung, für administrative Aufgaben oder die Buchhaltung benötigen. Üblicherweise verbringen Freelancer knapp ein Drittel ihrer Zeit damit. Je mehr Kunden Sie haben, desto mehr Zeit wird z. B. die Buchhaltung und die Verwaltung Ihrer Aufträge erfordern.
Dieser zusätzliche Arbeitsaufwand kann als sogenannter „Auslastungsfaktor” auf Ihren Stundensatz angerechnet werden.
Wenn Sie also 30 Prozent Ihrer Zeit mit Verwaltungs- und Planungsaufgaben verbringen, sollten Sie den Stundensatz mit 130 Prozent bzw. 1,3 multiplizieren.
Bei unserem Beispiel lagen wir bei knapp 53 Euro. Multipliziert mit 1,3 ergibt sich schließlich ein Stundensatz von 68,9 EUR.
Individuelle Anpassungen einbeziehen
Arbeiten Sie als Solo-Freelancer ohne eigene Beschäftigte oder Büroräume, haben Sie in der Regel deutlich weniger Ausgaben als Agenturen oder größere Unternehmen. Gegenüber Mitbewerbern mit einer höheren Kostenstruktur haben Sie bei der Angebotsabgabe einen Vorteil. Ohne Verlust zu machen, setzen Sie Ihren Stundensatz niedriger an als die Konkurrenz
In Ihrer Kalkulation können Sie darüber hinaus den Standort, den Verantwortungsbereich oder sehr kurzfristige Deadlines einbeziehen.
Wichtig ist auch, mögliche Reisekosten oder zusätzliche Ausgaben (z. B. EXPERT-Mitgliedschaft) zu berücksichtigen, wenn Sie z. B. ein Angebot schreiben.
Ergebnis: Jeder Freelancer sollte seinen Stundensatz kennen
Wie Sie gesehen haben, fließen sehr viele Positionen in die Berechnung des Stundensatzes für Freelancer ein. Deshalb gibt es keine pauschale Preisempfehlung für Stundensätze nach Branchen oder Aufgaben. Wichtig ist, dass Sie fair kalkulieren und keine Fantasiepreise erheben. Dann steht die Chance gut, dass Sie bei einem erfolgreich abgeschlossenen Projekt einen Stammkunden gewonnen haben, der Sie immer wieder beauftragt und Sie mit gutem Gewissen auch weiterempfehlen wird.
Wie berechnen Sie Ihren Stundensatz? Welche Punkte sind für Sie besonders wichtig? Wir sind gespannt auf Ihre Meinung in den Kommentaren!
Hallo und vielen Dank für den Beitrag. Alles ist plausibel, aber dennoch möchte ich wissen, wie soll die Preisstrategie bei Freelancern sein, die gerade Ihre Selbständigkeit anfangen…
Leute… 250€ Altersvorsorge und 500€ Versicherungen????? Dann rutscht man in die Altersarmut und ist aktuell nicht ordentlich krankenversichert….
Hallo Sonja,
danke für dein Feedback. Bei den angegebenen Zahlen handelt es sich nur ein Beispiel. Es geht viel mehr darum, welche Positionen Sie berücksichtigen sollten. Die Beträge sollten Sie ganz individuell und auf Ihre Bedürfnisse festgelegt werden.
Viele Grüße und viel Erfolg mit freelance.de
Dagmar
Hallo Frau Keiner,
vielen Dank für Ihre Frage. Grundsätzlich gilt auch für den Einsteiger: Sie können Ihren Stundensatz nur realistisch zu berechnen, wenn Sie Ihre Ausgaben kennen. Trauen Sie sich auch ruhig mal in Ihrem Netzwerk zu fragen – so bekommen Sie schnell ein gutes Gefühl dafür, wie die Stundensätze üblicherweise in Ihrer Branche sind.
Gerne nehmen wir Ihr Thema auf und erstellen zeitnah einen Beitrag dazu.
Viele Grüße und viel Erfolg mit freelance.de
Dagmar
Hallo in die Runde,
da ich selber Jahre lang im Angestelltenverhältnis gearbeitet habe, wusste ich am Ende des Monats, was ich netto bekommen habe. Ich finde es persönlich sehr schwer jetzt einen Stundensatz zu kalkulieren, um als Freelancer arbeiten und leben zu können.
Was mir auch zu denken gibt, ist die Rechtslage. Da das Elektrohandwerk meldepflichtig ist laut Handwerksordnung (HwO) Anlage A, sehe ich es zum jetzigen Zeitpunkt als Grauzone als Freelancer für eine Stelle als Elektriker oder Elektromonteur zu arbeiten.
Gibt es in diesem Bereich besonderen Ausnahmen?
Miete von 1.200 EUR ist manchmal zu wenig, wenn das Projekt außerhalb des Wohnortes liegt. Dann kommen weitere Kosten für eine möblierte Wohnung ca. 1200 EUR, plus
Auto dazu.
Die Krankenversicherung als Freelancer beträgt ca. 900 EUR im Monat, Haftpflichtversicherung berufsbedingt kostet schnell 150 Euro pro Monat.
Steuer mit 700 Euro reicht niemals.
Stundenlohn als Bauleiter verlange ich 85.-/ h
Rente und Pensionskasse sowie Urlaubsgeld geht sind bei mir ca. 2000 EUR / Monat und das Finanzamt verlangt gute 45%.
Hallo Herr Nolte,
danke für Ihren Kommentar und Ihre Frage.
Schauen Sie mal in diesem Beitrag nach, was zu beachten ist, wenn Sie als Freelancer tätig werden möchten: https://www.freelance.de/blog/freelancer-gewerbe-anmelden-oder-freiberufler-unterschied/
Viele Grüße
Dagmar von freelance.de