Scheinselbstständigkeit, Agenturen und Anforderungen
Ein Artikel in der Computerwoche brachte für uns Ende März einiges auf den Punkt, was wir in Sachen Scheinselbstständigkeit und Entwicklung des Marktes für Freelancer schon seit längerer Zeit beobachten. Die Autorin des Artikels, Christa Weidner, ist seit 1989 IT-Freelancerin. Sie setzt sich mit Leidenschaft für die Rechte der Selbstständigen ein. Durch das Gesetz gegen den Missbrauch von Werksverträgen, das Anfang 2017 in Kraft treten soll, bekommt das Thema für sie eine Dringlichkeit, der sich kein Freelancer entziehen sollte. Sie ruft dazu auf, sich aktiv mit der eigenen Situation zu beschäftigen und diese so zu verändern, dass wieder von tatsächlicher Selbstständigkeit gesprochen werden kann. Das grundlegende Problem für sie: Durch immer schwierigere Rahmenbedingungen und die Zusammenarbeit mit Agenturen sehen sich Freelancer in eine Lage manövriert, die mit Selbstständigkeit immer weniger zu tun hat. Die Arbeit von hochkarätigen Experten verliert an Wert, Freelancer finden sich in einem Hamsterrad aus Anforderungen wieder, sind unproduktiver und in der Wahl der Lebenszeitgestaltung stark eingeschränkt.
Die Phase des “Bodyleasings”
„Meine Karriere begann in der Großrechner-basierenden Zeit als Systemberaterin. Für Kundeneinsätze fakturierte mein damaliger Arbeitgeber, ein Softwarehaus, 1200 Mark pro Tag zuzüglich der Reisekosten – Bahn und Flug erster Klasse. Dieses Honorar wurde für mich – eine blutjunge Anfängerin bezahlt“, erzählt Weidner in ihrem Artikel. Während sie zu diesen Zeiten selbst Angebote für ihre Kunden aufsetzte, in denen sie den Aufwand für bestimmte Liefergegenstände definiert habe und mit Nutzen und Kompetenz argumentierte, ist für sie eine neue Phase angebrochen. Sie nennt es die Phase des „Bodyleasings“: „Unsere Leistung wurde auf Stundensätze reduziert, deren Höhe von Dritten ausgehandelt wurden. Ich habe wahrgenommen, dass immer weniger die Leistung und immer stärker die Ressource gefragt ist. Gleichzeitig poppte das Thema Scheinselbstständigkeit mit neuen Argumenten der Rentenversicherung auf. Kein Zufall, wie ich meine, sondern das Ergebnis, da Selbstständigkeit und Angestelltsein immer weniger voneinander zu unterscheiden sind.“
Während also zwischengeschaltete Agenturen die Bedingungen für Freelancer verhandeln und teilweise diktieren, arbeiten nach Weidners Beobachtungen Selbstständige tatsächlich immer stärker weisungsgebunden und vor Ort beim Kunden. Die Bedingungen seien im Vergleich zu früher deutlich schlechter geworden, weil durchschnittliche Stundensätze wie eine magische Linie für Kunden wirkten, über die man sich nur durch gute Argumente heben könne. Und die tatsächliche Arbeit sei wesentlich aufreibender und nervenzehrender geworden, weil sie sich durch die Einbindung in Prozesse beim Kunden weit von dem Bild entferne, das sich ein Selbstständiger vom Freelancerleben mache. Und das alles unter Verzicht auf die Annehmlichkeiten der Arbeitnehmer. Weidner zählt auf: „Ohne Arbeitsrecht, Arbeitsschutz, Sozialversicherung, Kündigungsschutz, Urlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall; kein Weihnachtsgeld, keine Betriebskantine, keinen Anspruch auf die betriebliche KITA, keine Einkaufsvergünstigungen, kein Betriebsrat, keine Arbeitszeitenreglungen.“
Wie machen es andere Selbstständige?
Weidner verharrt nicht im Jammerton oder ruft zu einem lauten politischen Engagement auf, sondern spielt den Ball den Freelancern zu. Sie fragte sich, was diese selbst tun könnten, um ihre Arbeit wieder als selbstständige Arbeit zu gestalten und das Berufsleben wieder lebenswerter zu machen. Zur Inspiration blickte sie sich bei anderen Freelancern um und wurde bei Trainern fündig: „Ein Trainer hat ein bestimmtes Themengebiet, das er besetzt und für das er seine Leistungen in Form von Weiterbildungsprodukten anbietet. Er hat ein eigenes Vorgehen entwickelt, um seine Inhalte zu vermitteln. Er hat Unterlagen entwickelt und bietet seine Dienstleistung vielleicht auch in Kombination mit anderen Produkten wie Analyse-Tools an. Für das Training sind Inhalte und Ziele definiert. Der Kunde kauft das Training zu dem vereinbarten Preis. Ausgelastet ist ein Trainer, wenn er pro Jahr 100 Tage Training verkauft. Entsprechend kalkuliert er seine Tagessätze. Ein Trainer muss seine Produkte entwickeln und verfeinern. Er benötigt Zeit für die eigene Weiterentwicklung, Marketing und Vertrieb.“
Ihre Vorschläge sind daher: Eine „Veredelung“ des Erfahrungsschatzes und die Arbeit von selbst gewählten Orten aus, zu einer selbst gewählten Zeit. Statt bloße Arbeitszeit anzubieten, sollten die Freelancer fertige Lösungen in Form von Materialien anbieten, die sich auf die Bedürfnisse der Kunden ausrichten lassen. Weidner stellt sich das konkret so vor: „Meine Kunden haben ein bestimmtes Problem, das ich für sie lösen soll. Ich habe bereits ein fertiges Produkt, das ich präsentieren kann und das sie mögen. Eine vorgedachte Lösung, die mit seinen Inhalten, in seinem Layout am Ende abgeliefert wird und individuell für ihn erstellt wurde. Ich habe einen Prozess entwickelt, um zielgerichtet zu den Ergebnissen zu kommen. Es gibt Arbeitsschritte, die ich nicht selbst vornehme, sondern von Dritten erledigen lasse. Meine Kunden bekommen eine vorgedachte und entwickelte Lösung, die ihnen viel Zeit und Aufwand spart.“
Ihr Plädoyer: Produkte statt Lebenszeit anbieten
Weidner ruft die Freelancer dazu auf, ihre Arbeitsweise umzustellen: “Entwickeln Sie Methoden, Tools, Serviceprogramme, Serviceangebote, Werkzeuge, Pakete, Abonnements, die Sie Ihren Kunden anbieten. Schaffen Sie eine Verpackung für Ihre Dienstleistung. Reichern Sie Ihre Zeit mit vorgefertigten und vorgedachten Bausteinen und Modulen an. Kurzum: Bieten Sie mehr als nur Ihr Know-how und Ihre Erfahrung in Lebenszeit-Einheiten an. (…) Ich kann sehr viel effizienter arbeiten, wenn ich Ort und Zeit selbst auswähle. Ergebnisse lassen sich schneller erreichen. Setze ich außerdem meine vorgefertigten Bausteine und Tools ein, wäre es so, als hätte ich den Turbo eingeschaltet. Auch, wenn wir dann mehr Honorar pro Stunde bekommen, zahlt der Kunde in der Summe weniger – eine Win-Win-Situation für alle. Vorausgesetzt: Wir wollen etwas ändern.“
Community Talk – Können Sie sich vorstellen, anders zu arbeiten?
Teilen Sie Weidners Meinung? Können auch Sie als Selbstständige daran mitarbeiten, dass sich die Wahrnehmung von IT-Freelancern verändert?
Was ist für Sie dran an der Idee, Lösungen statt Lebenszeit zu verkaufen? Wie ließe sich so etwas umsetzen? Und woran würden Kunden und Argenturen merken, dass sich etwas ändert?
Wir freuen uns auf die Diskussion mit Ihnen!
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