Arbeitgeber müssen Sozialversicherungsbeiträge für bis zu vier Jahre im Nachhinein entrichten, wenn ein mit ihnen zusammenarbeitender Freelancer als scheinselbstständig eingestuft wird. Entsprechend groß ist die Angst vor den Überprüfungen durch die Deutsche Rentenversicherung. Doch auch Freelancer selbst können mittels eines Statusfeststellungsverfahrens beantragen, als Angestellter behandelt zu werden, wenn die Zusammenarbeit über eine selbstständige Beschäftigung hinausgeht.
Rechtssicherheit und klare Verhältnisse sind allerdings im Interesse beider Parteien. Immer wieder landen Fälle von Scheinselbstständigkeit vor Gericht. Für den Entscheid für oder wider einer echten Selbstständigkeit sind oft nur graduelle Unterschiede ausschlaggebend. Diese zu kennen erspart Kosten und Ärger.
Scheinselbstständig: Ist das Home Office ein Hinweis auf Selbstständigkeit?
Grundsätzlich könnte man argumentieren, dass ein Freelancer, der seine Arbeit nicht vor Ort ausübt, sondern im eigenen Büro oder zuhause, eher als wirklich Selbständiger gilt.
Im Home Office scheinselbständig? Zwei Urteile aus der Praxis
Das hessische Landesgericht gab einem Programmierer recht, der darauf geklagt hatte, als sozialversicherungspflichtig Angestellter zu gelten (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 18.06.2020, Az: L 8 BA 36/19) Er hatte 21 Jahre lang für das gleiche Unternehmen gearbeitet und dem Unternehmen eine von ihm entwickelte Software zur Verfügung gestellt – und zwar ausschließlich diesem Unternehmen. Da die Zusammenarbeit der beiden auf Dauer angelegt war und das unternehmerische Risiko nicht beim Entwickler lag, wertete das Gericht das Arbeitsverhältnis als ein abhängiges Verhältnis – obwohl
Ähnlich gelagert ist auch der Fall einer Lohnbuchhalterin: Obwohl sie im Home Office tätig war und – nach Angaben von Buchhalterin und Unternehmen – dabei eine Arbeit erfüllte, die einer besonderen Qualifikation bedarf. Auch bestand Weisungsrecht weder was die inhaltliche Arbeit, noch Ort und Zeitpunkt der Ausführung bedarf. Trotzdem ist die Lohnbuchhalterin scheinselbständig, urteilte das Gericht. Die Crux lag hier im Detail: Weil die Lohnbuchhalterin in die Arbeitsabläufe des Unternehmens integriert war und ein vorab vereinbartes Festgehalt bekam, lag auch in diesem Fall das unternehmerische Risiko wieder nicht bei der vermeintlichen Freelancerin. Auch das Argument, die Lohnbuchhalterin habe keine Einzelweisungen erhalten, ließ das Gericht nicht gelten: Sie sei trotzdem von den Erfordernissen des Betriebs abhängig gewesen – Einzelweisungen seien bei höher Qualifizierten grundsätzlich nicht erwartbar. Auch ein anderer Mythos zur Selbstständigkeit wird mit diesem Urteil erneut aufgehoben: Die Buchhalterin hatte noch andere Auftraggeber – für die Feststellung der Scheinselbständigkeit im Verhältnis zu diesem Unternehmen war das nicht ausschlaggebend (Sozialgericht Dortmund, S 34 BA 68/18, Urteil vom 11.03.2019)
Anspruchsvolle Projekte finden und erfolgreich selbstständig arbeiten.
Nicht Scheinstelbständig: Der Freelancer trugt das Auftragsrisiko selbst
Sprach im oben genannten Fall noch die Erwartung einer „ausschließlich persönlichen Leistungserbringung“ für die Einstufung als Scheinselbständigkeit, war dies im folgenden Fall kein Argument für ein anders lautendes Urteil:
Ein Programmierer war von einem Unternehmen beauftragt worden, Online-Gewinnspiele zu entwickeln. Die Rentenversicherung argumentierte für ein sozialversicherungspflichtiges Verhältnis, weil die Firma erwarte, dass der Programmierer die Leistung ausschließlich persönlich erbringen solle.
Doch das Gericht sah das anders: Im vorliegenden Fall habe der Programmierer nicht nur die Projekte selbständig und in eigener Verantwortung geplant, sondern auch über seine Urlaubszeiten eigenständig bestimmt. Außerdem war er für sein klares Profil und seine Spezialisierung beauftragt worden, die er gegenüber der Firma auch mittels einer von ihm betriebenen (Werbe-)Website glaubhaft machte. Das unternehmerische Risiko lag damit beim Programmierer, so das Urteil: Die Selbständigkeit wurde festgestellt – auch, weil der Freelancer anders als in den beiden obigen Fällen das Risiko trug, künftig keine Aufträge mehr zu bekommen. (SG München, Urteil v. 11.08.2016 – S 30 R 1447/15)
Das spricht nach diesen Urteilen also für eine selbständige Tätigkeit:
- das unternehmerische Risiko liegt beim Freelancer – es gibt beispielsweise das Risiko, dass er künftig keine Aufträge mehr bekommt, im Gegensatz zu über Jahre laufenden Vereinbarungen
- der Freelancer zahlt für Fortbildungen selbst und nützt – falls überhaupt – die vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten Arbeitsmittel nicht ohne Bezahlung
- der Freelancer ist klar nicht in die Abläufe der Organisation eingebunden – als Hinweis gilt hier etwa die selbständige Entscheidung über Urlaubszeiten und die eigenverantwortliche Koordination von Projekten
Erfahrene Freelancer sind häufig stark spezialisiert, sodass ihre Beauftragung klar gegen eine Scheinselbstständigkeit spricht. Auch bringen sie Vergleichswerte aus vorhergehenden Aufträgen mit – im Zweifel hilft aber ein Jurist, schon vor der Beauftragung klare Verhältnisse zu schaffen.
Jetzt sind Sie dran: Wie schützen Sie sich davor nicht scheinselbständig zu werden?
Es ist schon drollig, wie stark bei den Kriterien auf die unternehmerischen
Risiken abgehoben wird. Dabei sind diese Risiken (und Lasten) gerade der Teil
der Selbständigkeit, den man immer behalten darf …
Ansonsten sieht man schon beim Blick auf die Projektbeschreibungen, daß bei
der Mehrzahl eine deutliche Einbindung “vor Ort” in das Unternehmen verlangt
wird, daß (ausschließlich) der “Auftrag”geber festlegt, wo und wann man zu
arbeiten hat (nicht zu vergessen: wann nicht), auch wenn in letzter Zeit das
Zauberwort “remote” (pro forma? oder ist “home office” gemeint? oder …?)
öfter auftaucht.
Wohlgemerkt: hier ist die Rede nicht von irgend welchen Installationen,
Schulungen o.ä. beim Endkunden, sondern vor allem von Softwareentwicklung,
einer Autorentätigkeit.
Weiter stammen die meisten Projektausschreibungen nicht von Endkunden, sondern
von Personaldienstleistern, die dann de facto Arbeitskräfte an den Endkunden
vermieten (wie der Vorgang auch immer bezeichnet wird), i.d.R. nach Stunden.
Allem Anschein nach ein Geschäftsmodell, das die Wünsche der Endkunden erfüllt.
Die Gesetzesänderungen zum April 2017 haben hier scheinbar nicht viel geändert,
außer daß einige Personaldienstleister in manchen Fällen zur offiziellen,
expliziten Arbeitnehmerüberlassung übergegangen sind.
Soweit die Kurzfassung ;-)