Ein Gastbeitrag von Peter Monien:
Peter Monien ist Vorstand der Freelancer Genossenschaft 4freelance. Neben seiner Tätigkeit für 4freelance ist Peter Co-Founder des social travel Startups destimate und beschäftigt sich mit dem Thema ERP für projektorientierte Unternehmen. Peter hat bereits mehr als 15 Jahre Erfahrung im B2B-Sales und war unter anderen bei Dow Jones und Red Hat tätig.
Viele Selbstständige bezeichnen sie als “Damoklesschwert der Selbstständigen” oder den “ungeschickt getarnten Versuch, die klamme Rentenkasse aufzufüllen”. Die Rede ist von der Scheinselbstständigkeit. Diese liegt für die beurteilenden Sozialkassen dann vor, wenn eine erwerbstätige Person als selbstständiger Unternehmer auftritt, obwohl sie von der Art ihrer Tätigkeit her Arbeitnehmer ist.
Aber wie soll man als Selbstständiger oder Auftraggeber wissen, ob es sich um eine in den Augen der Rentenversicherung (RV) scheinselbstständige Tätigkeit handelt?
Das spricht für eine Scheinselbständigkeit
Auf der Website der Deutschen Rentenversicherungsanstalt findet man nach einer Direktsuche folgende Kriterien, die für eine Scheinselbstständigkeit sprechen:
- Sie haben die uneingeschränkte Verpflichtung, allen Weisungen des Auftraggebers Folge zu leisten
- Sie müssen bestimmte Arbeitszeiten einhalten
- Sie haben die Verpflichtung, dem Auftraggeber regelmäßig in kurzen Abständen detaillierte Berichte zukommen zu lassen
- Sie arbeiten in den Räumen des Auftraggebers oder an von ihm bestimmten Orten;
- Sie haben die Verpflichtung, bestimmte Hard- und Software zu benutzen, sofern damit insbesondere Kontrollmöglichkeiten des Auftraggebers verbunden sind.
Scheinselbständig oder nicht?
Die RV definiert das wie folgt: “Tatsächlich selbstständig sind Sie, wenn Sie das unternehmerische Risiko in vollem Umfang selbst tragen und Ihre Arbeitszeit frei gestalten können. Der Erfolg Ihres finanziellen und persönlichen Einsatzes ist dabei ungewiss und hängt nicht von dritter Seite ab.”Jeder Freelancer wird sein unternehmerisches Risiko bejahen. Schon im eigenen Interesse sieht er zu, dass er in seiner Arbeitsgestaltung möglichst frei agieren kann. Aber was bedeutet das mit dem “ungewissen Erfolg”?
Das spricht gegen eine Scheinselbständigkeit
In einer Veranstaltung vom Bayerischen Wirtschaftsbeirat, an der ich am 28. April 2015 teilgenommen habe, hat sich diese Positivbeschreibung bei näherem Hinschauen in drei Kriterien unterteilt:
- Der Selbstständige sollte ein unternehmerisches Risiko tragen. Hierbei reicht es nicht, dass er in einer schlechten Auftragsphase seine laufenden Lebenshaltungskosten zu bestreiten hat. Er sollte laufende Kosten wie ein Büro und am besten Angestellte auf der Lohnliste haben. Die Abschreibung eines Notebooks o.ä. zählt da nicht.
- Der Selbstständige sollte seine Arbeitszeit frei gestalten können und (so gut wie) nicht in die Arbeitsorganisation des Kunden eingebunden sein.
- Der Selbstständige sollte keine rein stundenbasierte Entlohnung beziehen, da er ja Unternehmer ist und ein Teil der Entlohnung nicht, wie bei einem Angestellten, von seiner bloßen “Anwesenheit beim Kunden” sondern eben durch den Erfolg seiner unternehmerischen Leistung geprägt sein sollte.
Kein einzelnes Kriterium sorgt dafür, dass man als scheinselbstständig eingestuft wird. Das wurde sowohl im Vortrag als auch in der Diskussion der Veranstaltung immer wieder betont. Es ist immer wieder eine Einzelfallabwägung, die bestimmt, ob der Freelancer als Scheinselbstständiger eingestuft wird. Entscheidend ist der Vertrag und noch viel mehr die tatsächlich gelebte Zusammenarbeit zwischen dem Auftragnehmer und dem Auftraggeber sowie das Gesamtbild der Zusammenarbeit von diesen. Als Zünglein an der Waage, wenn es Anhaltspunkte in beiden Richtungen gibt, und keine eindeutigen Merkmale für eine Scheinselbstständigkeit vorliegen, ist der “übereinstimmende Willen der Parteien” ausschlaggebend.
Ein Praxisbeispiel zur Scheinselbständigkeit
Ein Freelancer unterstützt seinen Auftraggeber bei dem Relaunch von dessen neuer Website. Er wird hauptsächlich dafür eingesetzt, das neue Content Management System auf die Bedürfnisse des Kunden anzupassen. Diese Anpassungen richten sich nach den Anforderungen des Kunden, die vorab grob spezifiziert wurden und im Laufe des Projekts nach Scrum-Methodik spezifiziert und abgearbeitet werden. Der Freelancer arbeitet von zu Hause und besucht den Kunden einmal in der Woche zu den wöchentlichen “Sprint Planungstreffen”. Sonst ist er nur sehr selten beim Kunden.
Hört sich doch alles nach “echter Selbstständigkeit”. Schließlich arbeitet der Freelancer fast komplett von zu Hause und arbeitet sehr selbstbestimmt. Oder?
Die Logik der Maßstäbe der Rentenversicherung, die der gelebten Realität einer modernen Wissensgesellschaft weit hinterherhinken, sieht das aber größtenteils anders:
RV-Logik Nr. 1 – keine “ungewisse Entlohnung”
Der Freelancer rechnet in der Regel nach Stunden ab und schuldet dem Auftraggeber nur seine Arbeitsleistung aber keinen Erfolg. Die RV fordert hier zumindest eine teilweise Entlohnung nach Leistung, um sich von der Scheinselbstständigkeit abzugrenzen.
Rein kaufmännisch handelt der Freelancer sehr vernünftig. Schließlich ist die Schätzung der Aufwände für die Erstellung einzelner Werke sehr komplex. Ein Teil der Komplexität ist unvorhersehbar, da die Ergebnisse vorab fast nie 100%ig definiert werden und während des Projekts zusätzliche Herausforderungen auftauchen werden.
Hier liegt man – gerade als Programmierer – bei der Einschätzung der Aufwände leicht um den Faktor 2 oder 3 daneben. Erfahrene Programmierer wissen um diese Schwierigkeit und akzeptieren deswegen fast immer nur Dienstleistungs- und keine Werkverträge. Und die werden nun mal nur nach Stunden abgerechnet. Kaufmännisch vernünftiges Handeln wird hier bestraft.
RV-Logik Nr. 2 – zu geringes unternehmerisches Risiko
Der Freelancer ist Wissensarbeiter und braucht außer seinem Wissen, seinen Erfahrungen, seinen interpersonellen Fähigkeiten und seinem Notebook keine nennenswerten Ressourcen.
Rein kaufmännisch handelt der Freelancer sehr vernünftig. Schließlich ist es sinnlos, sich Ressourcen zuzulegen, die für die Ausübung der Tätigkeit nicht benötigt werden. Außerdem ist es kaufmännisch vernünftig, die Fixkosten so klein wie möglich zu halten. Bei einem reinen Service- und Beratungsgeschäft ist das üblich und vernünftig.
Die RV möchte aber ein Risiko sehen, was über den reinen Ausfall der Aufträge und die Abschreibungen der üblichen Gegenstände hinausgehen, die der typische Berater hat.
Kaufmännisch vernünftiges Handeln wird auch hier bestraft.
RV-Logik Nr. 3 – Einbindung in die Organisation des Kunden
Mininagel 1: Der Freelancer bekommt aus Sicherheitsgründen ein Notebook vom Kunden gestellt, da es auch um die Verarbeitung von Personendaten geht. Er erfasst seine Arbeitsfortschritte und die geleisteten Stunden in dem dafür vorhergesehen System.
Mininagel 2: Der Freelancer ist Teil eines Scrum Teams. Er ist einmal in der Woche für die Sprint Planung beim Kunden und nimmt täglich um 9:00 Uhr an dem Scrum Meeting per Skype teil. Wie jedes Projektmitglied sagt er kurz, was er gestern getan hat, was er heute tun wird und welche Schwierigkeiten ihm bzw. dem Team dabei im Weg stehen. Teilweise ergibt sich im täglichen Stand-Up-Meeting, dass er für diesen Tag gemeinsam mit einem anderen Programmierer an einem Problem arbeiten soll.
Mininagel 3: Der Freelancer hat Bescheid gesagt, dass er in der achten Woche des Projekts seinen Urlaub gebucht hat. Seine Abwesenheit wird im Teamkalender vermerkt. Somit hat er seine Urlaubsplanung mit seinem Auftraggeber abgestimmt.
Weitere Mininägel:
- Zugang zum Projekt-WIKI – geht so
- Zugang zum Intranet – nicht gut
- E-Mail Adresse des Kunden vorname.nachname.ext@xxx.de für die Projektdauer? Ungeklärt
- Arbeiten an der Software des CMS in vorgegebener Entwicklungsumgebung? Ungeklärt
Resultat der Prüfung
Gemäß den drei Kriterien des “tatsächlich Selbstständigen”, die auch der Website der RV definiert sind, erreicht der Freelancer auf der Skala der “richtigen” Selbstständigkeit vielleicht einen halben Punkt von drei. Anders ausgedrückt: Nach den Kriterien der RV deuten ca. 5/6 der Tatbestände Richtung Scheinselbstständigkeit.
Für mich dabei besonders ärgerlich ist, dass es oft die kaufmännisch vernünftige Handlungsweise des Freelancers ist, die zu einer negativen Einstufung führt.
Ergänzende Regelungen der Rentenversicherung
In dem nicht mehr so einfach zu findenden 20 Seiten langen Papier zur “Statusfeststellung von Erwerbstätigen” findet man dann auf Seite 8 einige weitere Kriterien, wobei der klassische Consultant als Wissensarbeiter mal wieder außerhalb der Logik der RV liegt:
- Eigene Entscheidungen über Einkaufs- und Verkaufspreise, über den Warenbezug, über die Einstellung von Personal, über den Einsatz von Kapital und Maschinen:
Als Consultant kaufe ich nichts zu, ich brauche keine Waren, ich brauche kein zusätzliches Personal und ich brauche außer meinem Notebook keine “Maschine”. - Eigene Entscheidung über die Zahlungsweise der Kunden (z. B. sofortige Barzahlung, Stundungsmöglichkeit, Einräumung von Rabatten):
Klassischerweise fordere ich als Freelancer eine Zahlung nach 30 Tagen, der gesetzlichen Zahlungsfrist.
Na, wenn das nicht der Gehaltszahlung eines Angestellten ähnelt und die RV da eine Scheinselbstständigkeit durchschimmern sieht! ;-) ..sorry, kleiner sarkastischer Ausrutscher. - Entscheidung über die Art und den Umfang der Kundenakquisition sowie die Art und den Umfang von Werbemaßnahmen für das eigene Unternehmen (z. B. Benutzung eigener Briefköpfe). Ob hier aber der eigene Briefkopf, eigene Visitenkarten und eine Xing-Seite ausreichen, wird auch nicht gesagt. Oder muss ich mich noch in mindestens zwei Freelancer-Börsen eintragen? Muss ich das auch tun, wenn meine Fähigkeiten so gefragt sind, dass ich jeden Tag fünf qualifizierte Anfragen auf Xing bekomme und mich klonen müsste, um alle Anfragen bedienen zu können?
Eine moderne Arbeitswelt erfordert ein Umdenken der Rentenversicherung
Meiner Meinung nach täte die Rentenversicherung gut daran, ihre verstaubten Kriterien zu überarbeiten.
Viele Unternehmen arbeiten sehr projektgetrieben und nehmen sich für diese Projekte Spezialisten hinzu. Es ist ja auch sinnlos, jemanden einzustellen, dessen hochspezielle Fähigkeiten sechs Monate danach nicht mehr benötigt werden. Andere Spezialisten würde das Unternehmen gerne einstellen, kann diese aber nicht als Angestellte gewinnen. Deswegen muss das Unternehmen diese Spezialisten als freie Mitarbeiter beschäftigen. Eine Wahl, die diese vielgefragten Spezialisten ganz bewusst getroffen haben. Diese müssen und wollen nicht “geschützt” werden.
Es wird Zeit, die Regelungen für hochqualifizierte Freiberufler der Realität anzupassen!
Jetzt sind Sie dran: Was ist Ihre Meinung zur Scheinselbstständigkeit? Was haben Sie für Erfahrungen gemacht? Wie sieht bei Ihnen der Alltag aus?
Ein wirklich guter und umfassender Beitrag! Heutzutage ist es gar nicht so leicht (trotz bestimmter Anhaltspunkte) das immer ganz klar zu trennen. Manch einer war schneller beim Anwalt für Scheinselbstständigkeit als ihm lieb war.
Grüsse
Künni (und nochmals grosses Lob)