Sie planen als Unternehmen Freelancer zu beschäftigen oder haben diese bereits in Projekte integriert und fragen sich, wie Sie Scheinselbständigkeit vermeiden können?
Genau zu diesem Thema haben wir Dr. Thomas Leister interviewt. Dieser ist Partner bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Osborne Clarke in Deutschland. Er unterstützt deutsche und ausländische Unternehmen in allen individual- und kollektivarbeitsrechtlichen Fragen mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Entwicklung von strategischen Konzepten für Unternehmen der Recruitment-Industrie. Zudem berät er insbesondere Staffing-Unternehmen zu Zeitarbeit, Independent Contractors, HR-Compliance und grenzüberschreitenden Projekten zum Contingent Workforce Management (Managed Service Providing, Recruitment Process Outsourcing).
Im Gespräch spricht der Fachanwalt für Arbeitsrecht über die Fallen der Scheinselbständigkeit für Unternehmen und gibt Tipps, wie Unternehmen Scheinselbständigkeit vermeiden können.
Scheinselbstständigkeit vermeiden: So geht’s
Herr Dr. Leister, welche größeren Fallstricke gilt es für KMU beim Einsatz von Freelancern zu beachten, um eine Scheinselbständigkeit zu vermeiden?
Die Abgrenzung zwischen Freelancern und abhängigen Beschäftigten erfolgt anhand von Merkmalen, die nicht abschließend sind und von der Rechtsprechung fortentwickelt werden. Es ist daher wichtig, die aktuelle Praxis der Behörden und der Gerichte im Blick zu behalten.
Von den Abgrenzungsmerkmalen sind Weisungsgebundenheit und Eingliederung in die Arbeitsorganisation eines Dritten besonders hervorzuheben.
Was bedeutet es, weisungsgebunden zu sein?
Weisungsgebundenheit kann in verschiedenen Formen vorliegen, und zwar hinsichtlich der Zeit, des Ortes und in fachlicher Hinsicht. Weisungsgebundenheit hinsichtlich des Ortes bedeutet, dass der Person vorgegeben wird, wo sie ihre Arbeit zu erbringen hat.
Weisungsgebundenheit in zeitlicher Hinsicht bedeutet, dass der Person, welche die Leistung zu erbringen hat, konkret gesagt wird, wann diese Person die Leistungen zu erbringen hat. Davon zu unterscheiden sind klassische Deadlines für Aufträge: So kann ein Freelancer einen Auftrag annehmen, für den der Auftraggeber dem Freelancer eine Frist für die Erbringung der Leistung setzt.
Weisungsgebundenheit in fachlicher Hinsicht liegt vor, wenn der Auftraggeber der Person, welche die Leistung erbringt, sagt, was genau zu tun ist und diese Person keinen oder nur sehr wenig Spielraum hat, wie sie ihre Leistung zu erbringen hat.
Liegen diese Merkmale vor, ist eine Person weisungsgebunden. Das ist ein klares Indiz für eine abhängige Beschäftigung. Die fehlende Weisungsgebundenheit spricht hingegen für eine selbstständige Tätigkeit.
Scheinselbständigkeit vermeiden: Experten-Tipps für Unternehmen
Was bedeutet die Eingliederung in die Arbeitsorganisation eines Dritten?
Das war früher recht einfach zu sagen: Hat der Freelancer bei einem Kunden vor Ort gearbeitet, war diese Person meistens in die Arbeitsorganisation eingegliedert. Um eine Eingliederung in solchen Fällen zu vermeiden, kann der Freelancer in einem separaten Gebäude oder Gebäudeteil, auf einer separaten Etage usw. untergebracht werden. Seit einigen Jahren rückt die Eingliederung in eine virtuelle Organisation immer mehr in den Vordergrund.
Was sind klare Zeichen für eine Eingliederung eines Freelancers?
Anzeichen für eine Eingliederung sind, dass der Freelancer mit Arbeitnehmern des Kunden in einem Zimmer sitzt oder sein Name am Türschild steht oder zum Beispiel die Visitenkarten und die Signatur mit denen der Arbeitnehmer des Kunden identisch sind. Das gilt es zu vermeiden.
Kurz zusammengefasst: Um Scheinselbständigkeit zu vermeiden, sollten Sie unbedingt eine Weisungsgebundenheit und eine Eingliederung in eine fremde Organisation vermeiden.
Scheinselbstständigkeit als Unternehmen vermeiden: Abgrenzung interne Arbeitnehmer:innnen und externe Kräfte
Wie schaffe ich nachweislich eine Abgrenzung zwischen internen Arbeitnehmern und externen Kräften, um als Unternehmen Scheinselbständigkeit zu vermeiden?
Eine Abgrenzung zwischen Freelancern und internen Arbeitnehmern kann bei der Leistungsbeschreibung, bei dem Vertragsentwurf oder auch auf Ebene der Weisungen erfolgen.
Was ist bei der Leistungsbeschreibung zu beachten?
Ausgangspunkt jeder Statusprüfung, d.h. ob eine selbstständige Tätigkeit oder eine abhängige Beschäftigung vorliegt, ist der Vertrag. Bei der Vertragserstellung kommt es darauf an, die Leistungsbeschreibung möglichst konkret zu regeln.
Im Idealfall handelt es sich bei den Leistungen um die Erstellung eines Werks, sogenannte deliverables. Vom Vertragstyp entspricht das regelmäßig einem Werkvertrag. In der Industrie wird der Begriff ‘Statement of Work’ verwendet. Um Scheinselbständigkeit zu vermeiden, ist es besonders wichtig, dass die zu erbringenden Leistungen konkret beschrieben sind.
Meiner Erfahrung nach ist die Leistungsbeschreibung häufig nicht konkret genug. Teilweise besteht sie nur aus wenigen Worten. Das Gefährliche daran ist, dass Behörden und Gerichte dann behaupten können, die Leistungsbeschreibung müsse durch weitere Weisungen ausgefüllt werden. Dies spricht für Scheinselbständigkeit.
Was passiert, wenn die Leistungsbeschreibung zu detailliert ausformuliert ist?
Vereinzelt kommt es in der Praxis vor, dass die Leistungsbeschreibung sehr detailliert ist. Gerichte und Behörden können in einem solchen Fall argumentieren, die Leistungsbeschreibung sei zu detailliert, so dass der Freelancer keinen Spielraum bei seiner Leistungserbringung mehr hat. Damit sei er fachlich weisungsgebunden.
Experten-Tipp: Die Leistungsbeschreibung sollte nicht zu kurz, aber auch nicht zu detailliert sein. Im Zweifel sollte die Leistungsbeschreibung eher länger als kürzer sein.
Worauf kommt es bei dem Vertragsentwurf an?
Um eine Scheinselbständigkeit zu vermeiden, muss aus dem Vertrag ganz klar hervorgehen, dass es sich um einen Freelancer handelt. Der zentrale Punkt bei dem Vertragsentwurf ist – wie bereits ausgeführt – die Leistungsbeschreibung.
Ein Merkmal für eine selbstständige Tätigkeit ist eine Vergütung nach Leistungsabschnitten oder nach Fertigstellung des Projekts, d.h. abhängig von einem bestimmten Erfolgseintritt. Ein Arbeitnehmer wird für seine Arbeitskraft in einer Zeit vergütet. Sofern ein Freelancer ebenfalls nach Zeitaufwand vergütet wird, argumentieren Behörden und Gerichte standardmäßig, dass dies ein Merkmal für eine abhängige Beschäftigung sei, da der Freelancer wie ein Arbeitnehmer vergütet wird.
Muss im Vertrag ganz klar beschrieben werden, dass es sich um einen Freelancer handelt?
Ja, der Vertrag muss so formuliert werden, dass aus ihm klar hervorgeht, dass es sich um eine selbstständige Tätigkeit handelt. Immer wieder sehe ich Verträge, in denen Begriffe wie Arbeitnehmer, Arbeitsverhältnis, Weisungen, Unterstützung oder Hilfe vorkommen. Das sind alles Begriffe, die auf eine abhängige Beschäftigung hindeuten.
Experten-Tipp: Vermeiden Sie Begriffe wie z. B. Support, Weisung, Arbeitsverhältnis im Vertrag.
Was passiert, wenn man vorsätzlich gehandelt hat?
Liegt Vorsatz vor, kann das unangenehme Konsequenzen nach sich ziehen, insbesondere wenn es um die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen geht. In diesem Fall liegt die Verjährungsfrist nicht bei vier Jahren, sondern bei 30 Jahren. Zudem kann bei Vorsatz eine Straftat vorliegen, und zwar das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt.
Scheinselbständigkeit vermeiden: Höchsteinsatzdauer
Muss ich eine Höchsteinsatzdauer bei der Beauftragung eines Freelancers beachten, um Scheinselbständigkeit zu vermeiden?
Es gibt rechtlich keine Höchsteinsatzdauer, bei der man sagen kann: Wenn diese überschritten ist, kommt man von der Selbständigkeit in die Scheinselbständigkeit. In der Praxis gibt es allerdings viele Unternehmen, die Höchsteinsatzdauern festsetzen, z. B. sechs Monate, neun Monate oder 12 Monate.
In der Praxis können solche Höchsteinsatzdauern sinnvoll sein: Je länger eine Person bei einer neuen Organisation arbeitet, desto eher wird er Teil dieses Teams, das heißt er integriert sich in diese Organisation. Um Scheinselbständigkeit zu vermeiden, muss man jedoch darauf achten, dass der Freelancer während des gesamten Einsatzes ein „Externer“ bleibt und nicht in das Team des Kunden integriert wird.
Die wichtigsten Aspekte, um Scheinselbständigkeit zu vermeiden
Herr Dr. Leister, was würden Sie mir raten, um in einem Unternehmen Scheinselbständigkeit zu vermeiden? Was sind die wichtigsten Punkte aus Ihrer Perspektive?
- Sensibilisierung für das Thema Scheinselbständigkeit schaffen: Man muss sich mit der Abgrenzung zwischen selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung vertraut machen.
- Verträge sorgfältig erstellen lassen: Im Vertrag sollte es kein Anzeichen für eine Scheinselbstständigkeit geben. Wichtig ist, dass der Vertrag in der Praxis auch umgesetzt werden kann. Denn wenn die praktische Umsetzung von dem Vertrag abweicht, geht die praktische Umsetzung vor.
- Ein Compliance System für die Risikominimierung nutzen: Wer mit Freelancern zu tun hat, sollte ein Compliance System implementieren, um das Risiko von Scheinselbständigkeit zu reduzieren.