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Sie arbeiten erst seit kurzem als Freelancer und fragen sich, wie Sie Ihre monatlichen Ausgaben mit wenig Akquise-Aufwand und nur wenigen Aufträgen decken können? Oder haben Sie einen „dicken Fisch“ an Land gezogen und freuen sich über ein überschaubares unternehmerisches Risiko, weil ein langfristiger Vertrag und firmeninterne Software Ihnen eine sorgenfreie Zeit verschaffen? Vorsicht: In beiden Fällen droht die Gefahr einer Scheinselbständigkeit. Oftmals liegt der Fehler im Detail. Ein Blick auf unsere Beispiele zur Scheinselbständigkeit helfen: Was dürfen Sie ablehnen und annehmen und wo wird die Gesetzlage unscharf.
Dicken Fisch an Land gezogen? Verdacht auf Scheinselbständigkeit droht!
Was zunächst komfortabel klingt, kann sich schnell als arbeitsrechtlicher Super-GAU entpuppen: Werden Kriterien einer Scheinselbständigkeit erfüllt, droht eine strafrechtliche Verfolgung, horrende Nachzahlungen und möglicherweise sogar ein Berufsverbot. Besonders hart trifft es den Auftraggeber. Dieser muss zunächst alle Arbeitnehmer- und Arbeitgeberkosten übernehmen. Auch Sozialversicherungsleistungen und Lohnsteuer können bis zu vier Jahre rückwirkend verlangt werden.
Freelancer werden ebenfalls zur Kasse gebeten. Sie sind zur nachträglichen Rückzahlung der Vorsteuer verpflichtet und verlieren unter Umständen ihren Selbständigen-Status. Säumniszuschläge und Bußgelder werden an beide Seiten zusätzlich berechnet. Für manche Freischaffende können die Strafen im Falle einer Scheinselbständigkeit sogar existenzbedrohend sein.
Scheinselbständigkeit: Arbeits- oder Auftragsverhältnis?
Das Schwierige am „Phantom Scheinselbständigkeit“ ist, dass sich der Vorgang nicht immer eindeutig zuordnen lässt und projektbezogen untersucht werden muss. Zwar gibt es formale Kriterien, nach denen offizielle Stellen – beispielsweise Finanzamt oder Krankenkasse – ein Auftragsverhältnis beurteilen. Die endgültige Entscheidung wird jedoch nach persönlicher Einschätzung vorgenommen.
Einigen Freelancern dürfte gar nicht bewusst sein, wie eng die Grenzen zwischen einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis und einem freischaffenden Auftragsverhältnis abgesteckt sind. So kommt man selbst in einem projektbezogenen Arbeitsalltag selten um eine Zusammenarbeit mit festen Angestellten herum. Der Schritt zum gemeinsamen Teamevent ist dann nicht weit – genau das ist aber Freiberuflerinnen und Freiberuflern beispielsweise untersagt.
Wir haben weitere Tipps und Beispiele aus der Praxis gesammelt, die auf Formen von Scheinselbständigkeit hinweisen.
Beispiele für Scheinselbständigkeit: Zwei Fälle und Urteile aus der Praxis
1. Beispiel: Sozialversicherungspflichtig oder nicht?
Auch Freelancer im Homeoffice sind laut dem Hessischen Landessozialgericht als abhängig Beschäftigte sozialversicherungspflichtig.
Der Arbeitsgerichtsprozess drehte sich um einen Programmierer und Bauingenieur, der stundenweise als Freelancer von Zuhause aus für ein Baustatik-Softwarehaus arbeitete. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stellte bereits 2016 in einem viel beachteten Urteil (BAG, 14.06.2016, Az: 9 AZR 305/15) fest, dass zwischen den Parteien zwar kein Arbeitsverhältnis, aber ein Heimarbeitsverhältnis bestand. Für den Mitarbeiter, der für die Pflege und Weiterentwicklung der von der Firma vertriebenen Software zuständig war, seien daher die Bestimmungen des Heimarbeitgesetzes (HAG) anzuwenden.
Nach Auffassung des Landessozialgericht (LSG) Darmstadt war der Programmierer als Heimarbeiter sozialversicherungspflichtig. In der Begründung wies das Gericht darauf hin, dass von zu Hause aus arbeitenden Freelancer Personen seien, die in eigener Arbeitsstätte im Auftrag und für Rechnung von Gewerbetreibenden, gemeinnützigen Unternehmen oder öffentlich-rechtlichen Körperschaften erwerbsmäßig arbeiteten. Als solche seien sie gemäß der sozialgesetzlichen Regelung Beschäftigte und als solche auch sozialversicherungspflichtig. Dies gelte auch für Tätigkeiten, die eine höherwertige Qualifikation erforderten.
Nach Auffassung des Gerichts war der Programmierer unter diesen Voraussetzungen als sozialversicherungspflichtiger Heimarbeiter zu werten. Er habe 21 Jahre für die gleiche Firma gearbeitet und dieser das alleinige Nutzungs- und Vertriebsrecht für die von ihm entwickelten Programme eingeräumt. Für den allgemeinen Absatzmarkt sei er hingegen nicht tätig gewesen.
Für die Richter war es dagegen unerheblich, dass der Programmierer seinen eigenen PC nutzte. Angesichts der Dauer des Vertragsverhältnisses sei dies nicht relevant, so das Gericht. Zudem habe die Firma Fortbildungskosten übernommen und die für die Fortbildung aufgewandte Zeit vergütet.
Quelle: Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 18.06.2020, Az: L 8 BA 36/19
Anspruchsvolle Projekte finden und erfolgreich selbstständig arbeiten.
2. Beispiel: Scheinselbständig oder nicht?
Ein Bauleiter ist seit 2018 aufgrund eines Rahmenvertrags mit dem Ziel der Begründung einer selbstständigen Tätigkeit im Architekturbüro des im Prozess beigeladenen Unternehmens beschäftigt.
Die vertragliche Gestaltung sollte selbstständige Tätigkeit belegen und es sollte Weisungsfreiheit bestehen. Allerdings legte das Unternehmer Terminvorgaben und Details der Leistungserbringung fest und die Kontaktaufnahmen zu Kunden des Unternehmers war nur mit Zustimmung des Unternehmers möglich. Die Vergütung lag bei einem Stundensatz von 45,- Euro netto. Der Bauleiter sollte die Baustelle überwachen, allerdings ohne Zeitnachweis. Die Dokumentation des Baufortschrittes wurde mittels Fotos und Tagesberichte von Seiten des Baustellenleiters erbracht. Dieser habe auch die Preisgestaltung mit den Kunden vereinbart.
Versicherungspflicht: Rentenversicherungsträger beklagt sich
Der beklagte Rentenversicherungsträger stellte die Versicherungspflicht des Bauleiters in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung fest. Hiergegen wandte sich der Bauleiter ohne Erfolg.
Sozialgericht: Indizien für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis stehen fest
Gemäß Sozialgericht Dortmund lag keine der Versicherungspflicht ausschließende selbstständige Tätigkeit des Bauleiters vor. Der Bauleiter übte vielmehr seine Tätigkeit als Bauleiter in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis aus. Als maßgebliches Indiz für eine abhängige Beschäftigung wertete das Gericht, dass der Bauleiter in die Arbeitsorganisation des Architekturbüros des Beigeladenen eingegliedert gewesen sei und seine Arbeitsleistung dabei in eigener Person zu erbringen gehabt habe. Der Bauleiter sei bei seiner Aufgabenerledigung an die Vorgaben des Unternehmers gebunden gewesen, die er mit dem jeweiligen Kunden vereinbart hatte. Daraus ließ sich eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation schließen
Auftritt als Mitarbeiter des Unternehmens bestätigt Scheinselbständigkeit
Gegenüber den Kunden des Unternehmers sei der Bauleiter als Mitarbeiter des Unternehmens und nicht als selbständiger Vertragspartner aufgetreten. So habe der Bauleiter die Abläufe auf den Baustellen des Unternehmers koordiniert und Weisungen erteilt.
Fehlende Einzelweisungen in der betrieblichen Praxis seien – gerade bei höherqualifizierten Tätigkeiten – kein Indiz für eine grundsätzliche Weisungsfreiheit des Beschäftigten. Der Bauleiter konnte sich seine Arbeitszeiten nicht selbst einteilen, sondern musste sich nach Aufgabenstellungen des Unternehmers orientieren.
Fazit: Die Tätigkeit als Bauleiter in einem Architekturbüro stellt also eine abhängige Beschäftigung dar. Sie unterliegt deshalb der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung.
Quelle: Sozialgericht Dortmund, Urteil v. 10.3.2020, S 34 BA 4/19 (nicht rechtskräftig)
Weitere Beispiele für Scheinselbständigkeit: Zeigen Sie Sensibilität bei folgenden Themen
- Sie sind fest in regelmäßig wiederkehrende Meetings eingebunden und hierfür auch weisungsgebunden teilzunehmen.
- Sie nutzen eine persönliche E-Mail-Adresse des Unternehmens nach außen, die Sie nicht kenntlich als externer Mitarbeiter oder externe Mitarbeiterin ausweist, z. B (ext.).
- Sie erhalten eine Telefonnummer vom Unternehmen, mit der Sie von außen erreichbar sind.
- Sie haben einen festen Arbeitsplatz im Büro, an dem Sie die Infrastruktur des Unternehmens (Laptop, Software) nutzen dürfen.
- Sie reichen Urlaubstage ein oder stimmen diese mit dem Stammpersonal ab.
- Ihr Projektauftrag ist nicht in einem festen zeitlichen und inhaltlichen Rahmen definiert, sondern läuft über einen längeren Zeitraum ohne erneuerte Aufgabenbeschreibung vor sich hin.
- Sie erhalten keine klaren Arbeitsaufträge, sondern entwickeln das Unternehmen mit angestellten Teammitgliedern weiter.
- Sie erledigen das Tagesgeschäft wie jede(r) andere Angestellte auch – ohne eine Zusatzleistung oder einen Mehrwert zu erbringen.
- Sie müssen regelmäßig an Vorgesetzte Bericht erstatten („Reportings“).
- Ihnen wird vertraglich, ohne Karenz-Entschädigung, verboten, wettbewerbsorientierte Auftragsarbeiten auszuführen.
- Sie werden hierarchisch in die Firma eingegliedert – wie andere Angestellte auch.
- Sie erhalten keine höhere (Honorar-)Vergütung für eine vergleichbare Aufgabenstruktur von Angestellten, um Ihre Sozialabgaben selbständig abzuführen.
- In Ihrem Vertrag ist eine freie Mitarbeit vereinbart, von der im Arbeitsalltag nichts zu spüren ist. Dieser „Scheinvertrag“ hat keine Relevanz bei einer betriebsrechtlichen Prüfung – es zählt die „gelebte Praxis“.
- Sie erhalten zusätzliche Aufgaben und Aufträge, die in der Erstvereinbarung nicht besprochen wurden – ohne sich darauf zu bewerben oder eine eigene Preisstrategie zu kalkulieren.
- Sie reichen Urlaubstage ein oder stimmen diese mit dem Stammpersonal ab.
Das Wichtigste für Sie zusammengefasst:
- Die beiden größten Fallstricke sind die Weisungsgebundenheit und die Eingliederung in eine fremde Organisation.
- Beide Parteien, sowohl das beschäftigende Unternehmen als auch der Freelancer, müssen auf eine Abgrenzung zwischen internen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und externen Kräften achten. Das ist möglich bei der Leistungsbeschreibung, beim Vertragsentwurf und bei der Weisungsungebundenheit.
Haben Sie bereits Erfahrung mit dem Thema Scheinselbständigkeit machen dürfen? Wenn ja, welche Tipps haben Sie, wie andere diese Situation vermeiden können? Teilen Sie hier Ihre Erfahrungen zum Thema Scheinselbständigkeit.
Wenn ich freiwillig in die Sozialversicherung (RV, KK, AV, etc.) einzahle, besteht dann noch die Gefahr der Scheinselbständigkeit?
Hallo Herr Krog,
vielen Dank für die interessante Frage. Die Scheinselbständigkeit ist komplex und kann je nach Umständen variieren. Das Vorhandensein einer freiwilligen Zahlung in die Sozialversicherung kann ein Faktor sein, der bei der Prüfung der Selbständigkeit berücksichtigt wird, ist jedoch nicht der einzige entscheidende Faktor. Es ist ratsam, sich bei rechtlichen Fragen rund um die Scheinselbständigkeit an einen Fachanwalt oder eine Fachanwältin für Arbeitsrecht oder Sozialrecht zu wenden.
Viele Grüße
Ihr freelance.de Team