Das Thema Industrie 4.0 stellt nicht nur Unternehmen vor neue Herausforderungen, sondern auch Dienstleister, besonders im Bereich IT und Engineering. Denn mehr denn je gilt es, Brücken zu schlagen zwischen der physischen Produktion von Produkten und der IT-Steuerung.
Was heißt das für das Personalmanagement von IT- und Engineering-Fachkräften? Und wie müssen Dienstleister in diesen Bereichen darauf reagieren?
Die IT daily im Interview mit Dr. Hubert Staudt, Vorstandsvorsitzender der top itservices AG, über die Einflüsse die IT-Frachkräfte im Umfeld von Industrie 4.0 ausgesetzt sind und was Unternehmen tun können, um auch personell für Industrie 4.0 gewappnet zu sein.
Frage: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Technologietrends, die künftig auf die Wirtschaft zukommen?
HS: Das sind 1. Internationalisierung, 2. Innovationsdruck, 3. Kostenminimierung im Standardgeschäft, 4. Modularisierung der Produkte und 5. die wachsende Bedeutung der Software für Engineering. Lassen Sie mich das ausführen: Die Internationalisierung betrifft längst nicht mehr nur den Vertrieb, sondern zunehmend auch die Fertigung und den Service. Sogar Teile der Entwicklung gehen nach Übersee. Das heißt, dass das Unternehmenswachstum, der Personaleinsatz und auch die Kontrolle aller technischen Ressourcen immer komplexer werden. Damit steigt die Anforderung einer zentralen Steuerung aller technologischen Prozesse. Mit der Internationalisierung steigt auch der Innovationsdruck. Überseewettbewerber holen auf oder haben Deutschland längst überholt. Denken wir allein an China: Hier werden zum Teil vollständige Produkte kopiert inklusive Firmenemblem oder gar Servicetelefonnummer des ursprünglichen Herstellers. Innovation allein reicht nicht mehr, um die Nase vorn zu haben. Firmen müssen sich vom Innovationswettbewerb absetzen und alles, was nicht innovativ ist, möglichst von außen einkaufen. Das geht nur, wenn die Kosten für das Standardgeschäft minimiert werden. Wer alles selbst macht, hat kein Geld, das er in Innovation investieren kann.
Kostenbewusste Produktion beinhaltet aber auch, mit möglichst wenig finanziellem Aufwand eine möglichst hohe Anzahl individualisierter Lösungen anbieten zu können. Dafür müssen Hersteller ihre Produkte modularisieren. Die Maschine, die als Perle ihrer Art gilt, wie zum Beispiel früher die Heidelberger Druckmaschine, gibt es nicht mehr. Ebenso wenig die Fabrik, die mit ihrem Maschinenpark nur für ein einziges Produkt ausgestattet ist. Und in der Mitte all dieser genannten Strömungen steht der zentrale Technologie-Trend: Die Bedeutung der Software. „Software is eating the world“ sagt der Mitbegründer von Netscape, Marc Andreessen.
Frage: Ist das mit dem Schlagwort „Industrie 4.0“ gemeint?
HS: In etwa. Industrie 4.0 beinhaltet ja, dass die Fertigung, die IT und die Kommunikation miteinander verschmelzen. Es gilt, eine intelligente Vernetzung von Produkten und Prozessen herzustellen. Das heißt, dass die genannten Technologietrends die Notwendigkeit mit sich bringen, Brücken zwischen der IT und dem Bereich Engineering zu schlagen. Und das viel besser gesteuert, als das bisher in den meisten Unternehmen der Fall ist. Dabei wird der ökonomische Erfolg von Unternehmen von Software-Firmen und –Experten abhängig sein. Künftig werden Maschinen – mit oder ohne menschliches Eingreifen – untereinander kommunizieren können, und zwar über das Internet. Sensoren werden allgegenwärtig sein. Schon in der Produktion muss also eine intelligente Verknüpfung der Maschinen untereinander geplant und umgesetzt werden. Aber es geht auch um eine Vernetzung verschiedener Technologien, Standards und industrieller Branchen. Industrieunternehmen müssen ihre Produktion darauf ausrichten, dass die physische Welt mit der virtuellen Datenwelt verknüpft ist, dass also Schnittstellen zwischen IT und Maschinenbau geschaffen werden. Mit anderen Worten: Maschinen müssen mit dem Internet als Datenübertragungsmedium verbunden werden und das ganze muss auch noch sicher sein.
Frage: Was bedeuten diese Herausforderungen nun konkret für den Einsatz von IT- und Engineering-Fachkräften?
HS: Der IT-Personaleinsatz unter dem Einfluss von Industrie 4.0 ist ein Geschäftsführungsthema, denn es geht darum, durch einen zentral gesteuerten, ganzheitlichen Personalaufbau und –einsatz die Brücke wischen der IT und dem Engineering zu gestalten. Ein schwieriges Unterfangen, da es für diese Themen nicht immer einen klaren Owner gibt. Nehmen wir als Beispiel einen Maschinenhersteller für Automaten, der einen eCommerce-Shop inklusive eProcurement aufbauen will. Das fällt zunächst nicht in die IT-Zuständigkeit, sondern ins Engineering und ist eng verwoben mit der F&E. Zudem bedingt es eine sehr enge Abstimmung mit Einkauf und Vertrieb. Sitzen die einzelnen Bereiche noch verstreut auf unterschiedlichen Kontinenten, gilt das Ganze auch noch international. Neue, äußerst komplizierte Jobs entstehen, deren Verortung im Unternehmen nicht klar ist. Ähnlich sieht es mit der Datenverbindung von installierten Maschinen über MES Software zu ERP und Big Data-Lösungen aus. Da fällt einiges zwischen die Zuständigkeitsstühle, was brisant ist, da solche Lösungen oft die Zukunft von Industrieunternehmen bedeuten.
Der Trend der Internationalisierung verstärkt diese personelle Herausforderung noch. Zum einen müssen die richtigen Experten gefunden werden, zum anderen muss die Lieferung des Produktes über verschiedenen Zeitzonen, Sprachen, Steuergesetzgebungen und Arbeitsbedingungen hinweg geplant werden. Ein Maschinenbauer von heute muss also jemanden finden, der unter diesen Bedingungen seine Maschine in Spanien in Betrieb nimmt und gleichzeitig das Delivery in diverse Länder im Blick behalten. Das ist nicht seine Kernkompetenz und verursacht einen großen Extraaufwand. Und das unter dem vorhin beschrieben Innovationsdruck. Heutzutage muss ein Maschinenbauer ebenso innovativ sein wie ein Entwickler von Microsoft oder SAP. Das heißt, die Softwareentwicklung muss in die F&E-Abteilung eines Maschinenbauunternehmens integriert sein. Gleichzeitig muss eine stetiger Feedbackzyklus zum Vertrieb und zum Kunden bestehen. Man braucht also heute auch im Vertrieb Mitarbeiter, die das Produkt verstehen und nicht nur über den Preis verkaufen.
Betrachten wir nun noch einmal das Thema Kostenminimierung im Standardgeschäft. Hier liegt eine der großen personalpolitischen Chancen im produzierenden Gewerbe. Das Stichwort heißt „Design to Cost“, also das Kostenmanagement eines Produktes vom Markt aus. Unternehmen müssen sich fragen: Was darf ein Produkt kosten, um es erfolgreich vermarkten zu können? anstatt zu planen, was die Entwicklung und Herstellung eines Produktes kostet. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Ansatzes ist „buy statt build“. Viel mehr als bisher müssen Cloud Services genutzt werden, und für fast alles, was nicht Kerngeschäft ist, können externe Dienstleister in Anspruch genommen werden. Gerade der Mittelstand tendiert aber traditionell dazu, viel zu viel selbst zu machen. Ich kenne Maschinenbauunternehmen, die ihre Reisekostenabrechnung inhouse programmieren. Die Devise lautet: Abstoßen, was geht, um im Kerngeschäft innovativ sein zu können.
Das gesamte Personalmanagement muss also umdenken. Es muss zum einen eine Flexibilisierung der Arbeitskräfte verfolgen, zum Beispiel durch Arbeitnehmerüberlassung, und zum anderen interdisziplinär planen und handeln. Engineering und IT können ohne einander kaum noch gedacht werden, zumindest in der Produktion.
Frage: Was müssen Anbieter von IT-Fachkräften künftig anders machen, als bisher, um auf die noch kommenden Umwälzungen vorbereitet zu sein?
HS: Anbieter von IT-Fachkräften müssen den beschriebenen Anforderungen durch ihr Angebot nicht nur begegnen, sondern sie müssen diese Prozesse mit gestalten. Das heißt konkret: sie müssen flexibler hinsichtlich ihrer Personaleinsatzmethoden werden und sie müssen ein größeres Gewicht auf die Ausbildung von Fachkräften legen. Kleine Kunden zum Beispiel oder solche mit einem sehr speziellen Thema müssen bisweilen ganze Wertschöpfungsbereiche auslagern. Hier werden dann nicht die IT-Spezialisten gekauft, sondern Gesamt-Gewerke oder ganze Produktionseinheiten. IT-Dienstleister müssen darauf vorbereitet sein, indem sie solche Pakete anbieten. Darüber hinaus müssen sie, anstatt dieses Angebot nur reaktiv bereitzuhalten, ihre Kunden dahingehend beraten. Wir bei der top itservices AG empfehlen zum Beispiel grundsätzlich, die laufende Aktualisierung und Pflege des Stammdatenmanagements auszulagern. Ein anderes typisches Feld, das hervorragend extern erledigt werden kann, ist die Dokumentation im Maschinen-und Anlagenbau.
Ich glaube, dass unserer Kunden genau das an uns schätzen. Wir beraten ganzheitlich und wir legen großen Wert auf die Weiterentwicklung unserer Mitarbeiter. Dabei kommen wir aus dem Unternehmensfeld der IT, das heißt wir beherrschen das Thema der Software-Entwicklung und verbinden diese Expertise mit dem Engineering-Bereich durch unser Competence Center top tecs. Ein Kunde von uns ist zum Beispiel eines der größten Stahl- und Industrieunternehmen Deutschlands. Dieser Kunde hat derzeit drei Herausforderungen, um wettbewerbsfähig zu bleiben: Die Harmonisierung von SAP-Prozessen zwischen Produktion und Vertrieb, die Projektierung des MES-Systems für ein internationales Projekt und die Optimierung der Software für ein großes Hochregallager. Alles drei sind IT-Themen, obwohl sie nicht in der IT-Abteilung verortet sind.