Durch die Rechtsunsicherheit bei der Beauftragung von Selbstständigen bieten die Vermittlungsagenturen immer mehr Projekte nur noch als Zeitarbeit oder befristete Anstellung an. Doch das Ergebnis wird für unsere Auftraggeber ein anderes sein.
Viele Artikel habe ich zum Thema Scheinselbstständigkeit geschrieben. Scheinselbstständigkeit wird im englischen mit False Self-Employment übersetzt. Die daraus resultierende Rechtsunsicherheit treibt bereits heute viele in die Zeitarbeit. Das passiert, weil Kunden und Vermittler nicht verstanden haben, was echte Selbstständigkeit ist und bewirkt. Daraus ist ein Plädoyer für echte Selbstständigkeit geworden, das jeder Selbstständige, Vermittler und Kunde gelesen und verstanden haben sollte.
Ich selbst, Jahrgang 1962 bin aufgewachsen in einer Arbeitswelt, bei der man sich einmal, am Anfang seines Berufslebens für einen Arbeitgeber entschieden hat und ist dort bis zur Rente geblieben. Das war das Ideal, das von allen angestrebt wurde. Für mich selbst schien dieser Weg nicht vorbestimmt zu sein. Mehrere Ausbildungen und Veränderungen; nachdem ich in der IT gelandet war, regelmäßig alle 2 bis 3 Jahre einen Jobwechsel. Nicht nur, um mehr Geld zu verdienen, sondern auch, weil es mir langweilig wurde und weil ich etwas Neues brauchte. Einmal probierte ich einen Job in einem Konzern aus. War aber froh, als ich nach 3 Monaten wieder wechseln konnte. Dieses Korsett einer großen Organisation war mir zu starr und engte mich ein.
Die Suche nach dem optimalen Umfeld
Und so war die IT-Branche ideal für mich. Ich konnte etwas bewegen, aufbauen, verändern und neu gestalten. Ein internationales Business, das sich ständig weiter entwickelt und bewegte. Kein Tag war wie der andere. Und dann der Moment der Selbstständigkeit, in die ich eigentlich erst einmal reingerutscht bin. Doch sehr schnell spürte ich, welche Chancen diese Grenzenlosigkeit bot. Die Ideen fingen an zu sprühen, Mut fing an zu sprießen. Losgelöst von den Zwängen, Organisations- und Vorgesetzten-konform denken zu müssen, entwickelte ich Konzepte und Lösungen für meine Kunden, die mich manchmal selbst überraschten. Meine Kunden schätzen mich dafür. Und so fing ich auch an, mich mit Tools, Methoden, Techniken und Formaten zu beschäftigen, die mir vorher noch nie begegnet sind. Es ging darum, Lösungen zu finden, wo andere nur Probleme sahen.
Mit der Zeit wurde auch immer deutlicher, dass zeitlicher, räumlicher und gedanklicher Abstand dabei hilft, um DIE Lösung zu finden. Distanz ist ein wichtiges Hilfsmittel genauso wie Ortswechsel. Und hatte ich mich schon zu meiner Zeit als Angestellte und Führungskraft nie auf einen 9 to 5-Arbeitstag von Montag bis Freitag begrenzt, kannte ich seit ich selbstständig war, gar keine Grenzen mehr. Manchmal sehr zum Leidwesen der Familie. Aber, seit ich selbstständig bin (immerhin schon seit 15 Jahren) sind meine Arbeit, meine Projekte und meine Kunden, ein Teil in meinem Leben, der mich inspiriert, mir Kraft gibt und Spaß macht. Ich liebe das, was ich tue.
Selbstständige bekommen nichts geschenkt
Ich verdiene auf den ersten Blick sehr gutes Geld, aber nach Abzug von Steuern und sonstigen Abgaben relativiert sich das. Unsere Altersvorsorge stemmen wir aus versteuertem Geld zu 100 % selbst finanziert, ohne Arbeitgeberzuschuss. Mein Geld ist hart verdientes Geld, ich bekomme nichts geschenkt, weder Urlaubs- noch Krankheitstage. Wenn ich Urlaub mache, dann sind nicht Flug und Hotel das Teuerste, sondern das Honorar, das ich in dieser Zeit nicht verdiene.
Meine Selbstständigkeit hat mich wertvoller, mutiger und zufriedener gemacht. Es gäbe viele Lösungen und Konzepte nicht, wäre ich nicht selbstständig. Meinen Kunden würde etwas Wichtiges fehlen. Wesentliche Kompetenzen habe ich weiter entwickeln können: die Lösungskompetenz und die Umsetzungskompetenz, die mich in die Lage versetzen, Ideen in funktionsfähige Konzepte zu gießen und diese dann auch zu realisieren. Das, was ich heute für meine Kunden tun kann, würde ich niemals in der Rolle des Angestellten oder der angestellten Führungskraft erreichen.
Unverzichtbar in der deutschen Wirtschaft
Wenn solch’ eine Geschichte nur die Hälfte aller selbstständigen IT-Berater erzählen können, dann wird deutlich, dass diese ein unverzichtbarer Baustein oder ein unverzichtbares Zahnrad der deutschen Wirtschaft sind. Eine Komponente, die nicht mal so eben in einem anderen Material mit einer veränderten Beschaffenheit oder in einer anderen Größe ersetzt werden kann. Wird eine Komponente weggelassen, ist das Gesamtgebilde nutzlos und funktioniert nicht mehr.
Und genau das droht nun der deutschen Wirtschaft oder zumindest den Unternehmen, die heute mit IT-Selbstständigen arbeiten. Es ist eine Illusion zu glauben, dass man einen Selbstständigen einfach in die Zeitarbeit umpflanzt und weiterhin das gleiche Ergebnis hat. Man hofft, den Tücken der Scheinselbstständigkeit ein Schnäppchen zu schlagen. Und so entscheiden, angestellte Einkäufer, angestellte Juristen, angestellte Recruiter und angestellte Vermittler über die Köpfe der betroffenen Selbstständigen hinweg, das nun Zeitarbeit für diese Freigeister angesagt ist. Die Selbstständigen werden ihrer Selbstständigkeit beraubt und finden sich wieder, eingesperrt in den Zwängen eines befristeten Angestelltenverhältnisses, das zudem noch als sozialer Abstieg empfunden wird.
Akzeptieren, dass es so ist, wie es ist
Das ist kein Vorwurf sondern ein Hinweis verbunden mit der Bitte, diese Worte zu erhören und in die Überlegungen einfließen zu lassen. Denn, wer echte und erfolgreiche Selbstständigkeit nie selbst am eigenen Leib erleben konnte, der kann den Unterschied nicht beurteilen. Die Einkäufer und die Zahlen-Daten-Fakten-Typen wollen jetzt Beweise und Fakten. Doch das wäre so, als würde ich das Leben, das ich heute als verheiratete Frau führe, gegen das nicht gewählte Leben ohne Ehe und vielleicht auch ohne Kind vergleichen wollen.
Es geht um Menschen und um den Lifestyle, den der Einzelne sich schafft, damit sich seine Energien entfalten können und er das Beste aus sich rausholen kann. Ich weiß nicht, was gewesen wäre, wenn ich damals statt Ja einfach Nein gesagt hätte. Und ich will es auch gar nicht wissen. Denn so, wie es jetzt ist, ist es wunderbar. Und deshalb sollten wir die Situation um die Scheinselbstständigkeit auch annehmen, auf die Ursachen schauen und anfangen, uns an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Gemeinsam.
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Scheinselbstständigkeit kann ein großes Problem sein, wenn dem (formal) Selbstständigen keine Flexibilität eingeräumt wird. Auch das Gefühl ist sicherlich ein vollkommen anderes, das sehe ich ähnlich.
Vertretbar wäre es, wenn der Selbstständige nur 30-50 % seiner Zeit für ein Unternehmen arbeitet und sich seine übrigen Aufträge selbst suchen kann. Selbst dann wäre allerdings auch eine Kombination aus Festanstellung und Selbstständigkeit möglich (und oft sinnvoller).