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Um sich ihr Industriedesign-Studium zu finanzieren, übernimmt Susanne Weiskopf erste Projekte im UX-Design. Und etabliert sich Schritt für Schritt als gefragte Expertin für nutzerfreundliches Design. Heute arbeitet sie als Freelancerin für namhafte Brands und unterstützt mit ihrer Agentur .21 design studio dabei, die richtigen Experten und Expertinnen für die beste Brand Experience zu finden.
In meinem Praxissemester merkte ich schnell, dass Theoriewissen zwar richtig und wichtig ist, aber die Umsetzung eines Projektes in der Praxis mit allen Limitationen und Beteiligten ganz anders abläuft. Die oberflächlichen Studienprojekte waren mir nicht mehr genug, deshalb begann ich parallel zum Studium an echten Projekten zu arbeiten.
Als ich auf meinen Bachelor für Industriedesign meinen Master in UX-Design draufsetzte, ergab sich aus der praktischen Projektarbeit noch ein weiterer Vorteil: UX-Design wurde nur an der Privat-Uni angeboten. Die ist sehr kostspielig. Durch die Kunden-Projekte konnte ich mein Studium finanzieren und das Gelernte gleich anwenden. Nach und nach entwickelte sich daraus eine profitable Geschäftsidee. So habe ich eher zufällig ohne es zu Wissen neben dem Studium gegründet.
„Die Freiheit und die Vielfältigkeit der Projekte motivieren mich jeden Tag aufs Neue“
Mit meinen Website-Projekten, die ja alle „live“ waren, habe ich mir auch gleich ein repräsentables Portfolio mit Substanz geschaffen, um mich bei einer Agentur zu bewerben. Das war zu diesem Zeitpunkt mein Ziel: Die Festanstellung in einer Agentur. Denn eigentlich bin ich kein sonderlich risikobereiter Mensch. Meine Selbstständigkeit ist eher zufällig über die Jahre organisch gewachsen.
Mit meinen Projekten habe ich die Lücke zwischen Theorie und praktischer Umsetzung geschlossen – und gleichzeitig Kunden gezeigt, was mit UX-Design möglich ist. Irgendwann hatte ich so viele Kunden, dass ich davon leben konnte. Eher nebenbei entdecke ich dabei die Vorteile des Freelancertums: Bis heute liebe ich die Freiheit zu arbeiten, wann und wo ich will und meinen Tag selbstbestimmt strukturieren zu können. Dennoch war da von Anfang an eine gewisse Sorge.
„Mein Startkapital: ein Laptop und eine Berufsunfähigkeit-Versicherung“
Bin ich auch als Vollzeit-Freelancerin voll ausgelastet? Verdiene ich genug? Kriege ich die ganze Bürokratie rund um die Selbstständigkeit hin? Vor allem bei der Buchhaltung und Steuer habe ich viel Hilfe von anderen Freelancern erhalten. Eine wirklich gute Hilfestellung von AGB über Datenschutz und Steuer bis hin zur Vermarktung ist das Buch „Parcours: Existenzgründung für Designer. Unabhängig – Eigenverantwortlich – Selbständig“ von Sophia Muckle und Katrin Schacke.
„Ich liebe an meinem Job, dass die Projekte alle so unterschiedlich und vielfältig sind. Ob Photovoltaikanlagen, Autos, Mode oder Versicherungsprodukte: Ich kann mich jedes Mal in andere Themen einarbeiten. Gleichzeitig ist es auch die größte Herausforderung für mich, alle Informationen aufzunehmen, individuelle Problemstellungen zu durchdringen und dann zu beginnen, Lösungen dafür zu erarbeiten.“
Susanne Weiskopf
Da ich damals schon zu 100 Prozent remote gearbeitet habe, waren ein Laptop, ein Bildschirm und eine Berufsunfähigkeitsversicherung die einzigen Dinge, für die ich Geld ausgegeben habe. Als Studentin, die neben dem Studium gegründet hat, habe ich anfangs zu einem Stundensatz von 40,00 Euro gearbeitet. Rückblickend war das unter Wert. Dafür habe ich von meinen Auftraggebern aber eine Art Welpenschutz bekommen. Die Erwartungshaltung war nicht hoch. Das hat mir am Anfang viel Sicherheit gegeben. Ich wusste auch: Sie helfen mir, wenn etwas schief geht. Mit der Zeit habe ich mir ein gewisses Standing erarbeitet und meinen Stundensatz nahezu verdoppelt. Heute nehme ich mir ab und zu auch raus Kunden abzulehnen, die den Preis stark drücken wollen. Auf ein völlig neues Niveau hat mich vor allem die Zusammenarbeit mit Recruitern gehoben.
Anspruchsvolle Projekte finden und erfolgreich selbstständig arbeiten.
„Die Zusammenarbeit mit Recruitern ist ein Win-Win“
Zunächst habe ich als Freelancerin alleine mit Hilfe von Recruitern den Fuß in die Türen vieler Unternehmen bekommen. Mit unserer Digitalagentur .21 design studio, die wir 2021 gegründet haben, bauen wir enge Geschäftsbeziehungen zu den Recruitern und Agenturen auf. Wir profitieren von deren Wissen und ich lasse sie unsere Ideen gegenprüfen. Zum Beispiel, ob wir mit einer Whitelabellösung oder mit einem Paketpreis richtig liegen. So bekommen wir im Team ein wichtiges Feedback. Deshalb sind wir auch nach Projektende absolut loyal.
An dieser Stelle machen viele ohne Recruiter weiter. Das machen wir nicht. Wir engagieren sie bei Folgeaufträgen wieder. Wir sind voneinander abhängig und profitieren stark voneinander. Ich lege viel Wert darauf sie persönlich kennenzulernen, das hat uns in den letzten Jahren sehr weit gebracht. Über Recruiter generiere ich den meisten Umsatz. Die zweite Säule sind Freelancerportale wie freelance.de. Die dritte Säule teilen sich LinkedIn/Xing und persönliche Weiterempfehlungen. Super wichtig ist es Sichtbarkeit zu schaffen auf Social Media.
Susannes Tipps für Freelancer
- Angemessenes Honorar einfordern: Nach meinem persönlichen Empfinden haben vor allem Frauen zu wenig Selbstbewusstsein, ihre Arbeit zu einem adäquaten Preis anzubieten. Ich gehe daher immer mehr zu Pauschalen und Paketpreisen über.
- Wer networken kann, hat die Nase vorne: Das connecten mit anderen Freelancern, möglichen Auftraggebern und Unternehmen hat nicht nur mein Skillset erweitert, sondern auch viele Türen geöffnet. Neben LinkedIn und Instagram haben mich UX Meetups, branchenspezifische Konferenzen und Events weitergebracht. Allen Frauen kann ich das Frauennetzwerk Nushu sehr empfehlen. Damit sich Recruiter gegenseitig NICHT ausspielen, darauf achten, dass sie für unterschiedliche Branchen und Regionen zuständig sind.
- Eine Personal Brand etablieren: Ich empfehle aussagekräftige und individuell zugeschnittene Profile auf Projektvermittlungsplattformen und Social Media sowie eine eigene Webseite.
- Mein persönlicher Buchtipp: Parcours: Existenzgründung für Designer. Unabhängig | Eigentverantlich | Selbständig von Sophia Muckle. Hier gibt es wertvolle Tipps von Akquise über Kalkulation, Recht, Datenschutz und Steuern bis zu Versicherungen.
„Sucht euch als Personal Brand eine Nische“
Das Erste was potenzielle Kunden machen, ist mich via LinkedIn zu kontaktieren. Sieht sie sympathisch aus? Hat sie einen Expertenstatus? Ist gut vernetzt? Hier ist eine professionelle Präsenz erforderlich. Das gibt erstmal Vertrauen, ist aber nicht messbar. Um das richtig gut zu machen, muss man viel Zeit investieren. Gerade, wenn man bis zum Hals in Projekten steckt, kommt das Personal Branding als Freelancer oftmals zu kurz.
Susanne Weiskopf
Um zu zeigen, wer ich bin und was ich gut kann, ist es von Vorteil, sich eine Nische auszusuchen, z.B. User Research oder UX-Konzeption. Und dann geht es darum zu posten, was man macht. Das kann etwas sehr Banales sein wie die Teilnahme an Events oder etwas Besonderes wie ein erfolgreich abgeschlossenes Projekt.
Susannes Tipps für Unternehmen
- Personalisierte Erlebnisse: Sehr vielversprechend für UX Designer ist die Möglichkeit Nutzern immer mehr personalisierte Erlebnisse zu bieten. Zum Beispiel Netflix arbeitet viel mit kuratierten Feeds, sogar die Filmvorschauen sind grafisch den Vorlieben der User angepasst.
- User Research & Testings: Um ein Nutzererlebnis zu schaffen, das begeistert und die individuellen Probleme der Zielgruppen löst, ist User Research vor Beginn des Projekts unabdingbar. Genauso wie Evaluationen der Entwürfe und Usability Tests während der Produktentwicklung. Die wenigsten Unternehmen kennen ihre Zielgruppe richtig.
- Bewusstsein schaffen: Komplizierte oder unnötige Prozesse kosten „nur“ Zeit und Geld und führen dazu, dass die Produkt- oder Servicequalität leidet. Als Freelancerin versuche ich ein Bewusstsein bei den Beteiligten für diese Missstände zu schaffen, um einen echten Mehrwert und eine bessere Vermarktung zu kreieren.
- Mehr UX wagen: User Experience ist eines der größten Differenzierungsmerkmale am Markt. Ich würde Unternehmen empfehlen bewusst in einem (Teil-) Projekt mehr Ressourcen für User Research, einen ganzheitlichen Gestaltungsansatz, iterative Designprozesse und Testings auszugeben und die KPIs zu messen, die dadurch verbessert werden können.
Haben Sie auch auch neben dem Studium gegründet oder sind gerade dabei? Welche Tipps für unsere Freelancer Community haben Sie?